Der Mythos der Vorsorge

Die Riester-Rente fördert die soziale Unwucht

  • Hermannus Pfeiffer
  • Lesedauer: 3 Min.
Die Riester-Rente kann die Lücke bei der gesetzlichen Rentenversicherung nicht schließen. Vor allem Besserverdiener investieren in die staatlich geförderte private Altersvorsorge.

Andrea Nahles spricht ein vernichtendes Urteil: »Insbesondere die Kleinverdiener haben die Riester-Rente nicht abgeschlossen.« Die Bundesarbeitsministerin sieht die Erwartungen, die ihre sozialdemokratische Partei einmal hegte, unerfüllt. Dabei lohnt sich »riestern« eigentlich besonders für Niedrigeinkommensbezieher und für Familien mit Kindern. Der Grund sind die im Verhältnis zu den eingezahlten Beiträgen besonders hohen staatlichen Zuschüsse. Doch wer jeden Cent zweimal umdrehen muss, überlegt es sich doppelt, ob er sein Geld in ein privates Altersvorsorgeprodukt steckt oder lieber heute ausgibt.

So fördert die private Altersvorsorge die soziale Unwucht in der Gesellschaft. In der Praxis nutzen Bezieher höherer Einkommen die Riester-Förderung häufiger als Menschen mit weniger Verdienst. Dies zeigte eine Studie der Freien Universität Berlin und des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW). Die zwei Zehntel der Bevölkerung mit dem höchsten Einkommen erhalten demnach mit fast 40 Prozent den größten Anteil vom Förderkuchen. Dass Besserverdiener mehr staatliche Zuschüsse erhalten, liegt hauptsächlich an ihrer stärkeren Bereitschaft, bis zu vier Prozent ihres Arbeitseinkommens für die Altersvorsorge anzusparen.

Mittlerweile nimmt die Zahl der abgeschlossenen Riester-Verträge kaum noch zu. Für Ende des vergangenen Jahres meldet Nahles’ Arbeitsministerium einen Bestand von knapp 16,5 Millionen Verträgen. Nicht einmal jeder zweite abhängig Beschäftigte sorgt also fürs Alter vor. Außerdem wird der Anteil der ruhenden Verträge, für die keine Beiträge mehr gezahlt werden, auf ein Fünftel geschätzt. Allerdings können viele Lohnabhängige vor allem in Großbetrieben auf eine, meist tariflich geregelte, Betriebsrente zurückgreifen.

Namensgeber für die Riester-Rente war Walter Riester (SPD). Als Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung schlug der frühere Zweite Vorsitzende der IG Metall die Förderung der privaten Altersvorsorge durch eine staatliche Zulage vor. Anlass war die Reform der gesetzlichen Rentenversicherung zur Jahrtausendwende, durch die das Rentenniveau des idealtypischen Rentners zunächst um drei Prozentpunkte gesenkt wurde. In der Realität fällt die sogenannte Standardrente der Lohnabhängigen heute in Deutschland noch kleiner aus: Der Durchschnittsverdiener erhält nach 45 Beitragsjahren 47,7 Prozent des aktuellen Durchschnittslohnes.

Das Rentenloch solle zukünftig durch privates Sparen geschlossen werden, so beschlossen es Minister Riester und die damalige rot-grüne Bundesregierung in den Jahren 2000 und 2001. Als Begründung wurde vor allem auf den demografischen Wandel verwiesen: Die Zahl der Rentner wird bis 2030 stark zunehmen. Der klassische Generationenvertrag - die Jungen zahlen die Renten der Alten - würde dann nicht mehr funktionieren.

Riesters Rentenreform war aber auch Teil eines wirtschafts- und sozialpolitischen »Modernisierungsprogramms« - inklusive der Agenda 2010, Hartz IV und dem Leitspruch »Fördern und Fordern« -, mit dem Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) die Wirtschaft international wettbewerbsfähiger machen wollte. In welchem Umfang und ob überhaupt Schröders Agenda-Politik zum im europäischen Vergleich derzeit relativ kräftigen Wirtschaftsaufschwung Deutschlands beitrug, ist allerdings unter Politikern und Ökonomen heftig umstritten.

Walter Riester geriet später in den Ruf eines Lobbyisten der Finanzwirtschaft, da er als Aufsichtsrat und Vortragsreisender für eine Investmentgesellschaft und einen Finanzvertrieb tätig wurde. Das Rentenloch schließen konnte seine Riester-Rente aber nicht. Selbst wer die vollen Möglichkeiten der geförderten privaten Altersvorsorge ausschöpft, könnte später von Altersarmut bedroht sein, das zeigt sich an aktuellen Daten.

Was auch an der Nullzinspolitik der Europäischen Zentralbank liegt. Versicherer, Banken und Fondsgesellschaften, die Riester-Verträge verwalten, müssen das Geld ihrer Kunden sicher anlegen. Dies schreibt der Gesetzgeber vernünftigerweise vor. Sicher sind aber heute vor allem minimal verzinste Geldanlagen. Riester-Rentner können daher nicht wie Reiche von den rasant steigenden Aktienkursen profitieren, die an den Börsen spekulieren.

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