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Sudan: Im Visier anderer Mächte
Mit Waffenlieferungen an die Kriegsparteien halten Staaten der Region den Krieg am Köcheln
Eine Woche nach der Einnahme von Al-Fascher, der Hauptstadt von Nord-Darfur, rücken die Rapid Support Forces (RSF) von Warlord Mohammad Hamdan Daglo alias Hemedti weiter vor. Nach einem Drohnenangriff im Zentrum des Sudan fliehen Zehntausende Bewohner aus der Stadt Al-Obeid. Die RSF kündigte an, die strategisch wichtige Stadt einzunehmen und forderte die Zivilbevölkerung auf, über zwei Korridore zu fliehen. Wegen der grausamen Videos, die nach der Eroberung von Al-Fascher auf sozialen Medien kursieren, ist in der Kordofan-Provinz Panik ausgebrochen. Nach der weltweiten Empörung über die kaltblütigen Morde an fliehenden Familien, Frauen, Kindern und 460 Patienten und Ärzten im Zentralen Krankenhaus der Stadt sprach die RSF-Führung noch von Einzeltaten. Die Morde an Zivilisten würden bestraft, so Hemedti, der schon als Anführer der Dschandschawid-Miliz für den Mord an Zehntausenden nicht arabischen Bewohnern von Darfur verantwortlich war.
Nach seiner Rede veröffentlichten seine Kämpfer rund um Al-Fascher aufgenommene Videos, in denen Tausende am Boden liegende Bewohner der Stadt zu sehen sind, die bei dem RSF-Vormarsch offenbar hinterrücks getötet worden waren. Von der Yale Universität ausgewertete Satellitenaufnahmen zeigen, dass auch auf den Straßen von Al-Fascher die Morde weitergehen.
Flüchtende werden festgehalten
Im 70 Kilometer entfernt gelegenen Flüchtlingslager Tawila kommen viel weniger geflüchtete Bewohner an als von lokalen Hilfsorganisationen erwartet wurde. »Offenbar werden viele aus der Stadt geflohene Bewohner festgehalten, um Lösegeld von Verwandten zu erpressen, andere wurden an Ort und Stelle erschossen«, berichtet ein Mitarbeiter des »Centre for Information Resilience« (CIR) am Telefon.
Die sudanesische Initiative hat zahlreiche RSF-Kämpfer identifiziert, die auf Tiktok und anderen sozialen Medien Videos von der Ermordung unbewaffneter Zivilisten geteilt hatten. Die Beweise der Kriegsverbrechen sollen später dem Kriegsverbrechertribunal in Den Haag übergeben werden. Der Internationale Gerichtshof kündigte am Montag bereits an, gegen die Verantwortlichen der offensichtlichen Kriegsverbrechen zu ermitteln.
Im Falle des Nachweises enger militärischer Absprachen mit der RSF droht den Herrschern in Abu Dhabi eine Anklage in Den Haag.
150 000 Menschen sind in dem Krieg zwischen zwei ehemaligen Verbündeten, der RSF und der sudanesischen Armee, bereits ums Leben gekommen. Doch erst die Aufnahmen von RSF-Kommandeuren wie »Abu Lulu«, der lächelnd vor Angst zitternde Familien erschießt, werden für die ausländischen Partner zu einem PR-Desaster. Die Waffenlieferungen aus den Vereinigten Arabischen Emiraten, Hemedtis Hauptsponsor, wurden bereits von Menschenrechtsorganisationen nachgewiesen. Im Falle des Nachweises enger militärischer Absprachen mit der RSF droht auch den Herrschern in Abu Dhabi eine Anklage in Den Haag.
Die bestreiten energisch, die Rebellen mit Waffen zu versorgen. Doch Augenzeugen, mit denen »nd« in Libyen gesprochen hat, bekräftigen die Lieferung von Toyota Pick-ups, russischen Luftabwehrsystemen Panzir und Raketen. Die Libyer waren am Flughafen im südlibyschen Kufra tätig und standen bei der Entladung mehrerer aus Abu Dhabi gelandeten Militärtransporter auf dem Rollfeld. Laut der englischen Tageszeitung »The Guardian« hat die sudanesische Armee nach der Rückeroberung der Stadt Omdurman Zielsysteme des Herstellers Militec gefunden. Diese waren von der britischen Regierung an Abu Dhabi geliefert worden. Auch andere EU-Länder beliefern das Emirat, das sich als Bollwerk gegen den radikalen Islam darstellt. Eine Erzählung, die nach den RSF-Gräueltaten im Stile des Islamischen Staates auch nicht durch die vorübergehende Verhaftung von Abu Lulu ernstgenommen wird.
RSF kontrolliert ganz Darfur
Mit der Einnahme der Provinzhauptstadt kontrolliert die RSF nun ganz Darfur, ein Gebiet von der Größe Frankreichs. Während die Emirate an den dortigen Goldminen interessiert sind, bezieht Saudi-Arabien seit Jahrzehnten Vieh und Weizen, die in Port Sudan am anderen Ufer des Roten Meeres verschifft werden. Dass landwirtschaftliche Produkte aus Darfur weiter die Frontlinien in Richtung Port Sudan passieren, zeigt, wie sehr der Krieg von wirtschaftlichen Interessen getrieben ist.
Ägypten gilt in dem Krieg als Verbündeter der sudanesischen Armee, deren Piloten und Offiziere von Spezialisten aus Kairo ausgebildet werden. Mit seinem Engagement im Westen des Sudan will der ägyptische Präsident Abdel Fattah Al-Sisi den Flüchtlingsstrom nach Norden kontrollieren und Zugriff auf Luftwaffenbasen behalten – für den Fall eines Konfliktes mit Äthiopien. Der Iran liefert offenbar Schahed-Drohnen an die sudanesische Armee und hofft im Gegenzug, zukünftig eine Marinebasis bei Port Sudan betreiben zu dürfen. Schon jetzt sollen die Huthis aus dem Jemen, einer der engsten Verbündeten des Regimes in Teheran, die sudanesische Küste für ihren Nachschub nutzen. Dort sind auch bereits Ingenieure der türkischen Marine auf der Suche nach geeigneten Standorten und liefern neben Bayraktar-Drohnen auch Boden-Boden Raketen.
Verstöße gegen Waffenembargos
Die libyschen Augenzeugen aus Kufra berichten, dass RSF-General Hamdan Al-Kadschli und andere hochrangige Kommandeure seit Jahresbeginn zwischen Libyen, Zamzam und anderen Massakerschauplätzen hin und her pendeln. Der in Ost-und Südlibyen herrschende Feldmarschall Khalifa Haftar bestreitet, mit Hemedti zu kooperieren. Sollten ICC-Ermittlungen diesen Vorwurf jedoch erhärten, hätten auch EU-Länder wie Italien ein Problem, denn Haftar gilt als Roms enger Verbündeter bei der Migrantenabwehr.
Die Waffenlieferungen der Emirate nach Kufra und die über den libyschen Militärflughafen Al-Khadim verletzen gleich zwei Embargos. Kurz nach Beginn des Aufstands gegen Muammar Al-Gaddafi beschloss der UN-Sicherheitsrat, den Import von Waffen nach Libyen zu verbieten; auch an die sudanesischen Kriegsparteien darf nicht geliefert werden. Auch deutsche Marineschiffe sollen das Waffenambargo durchzusetzen.
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