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Sudan: »Manchmal wird selbst das Kochen gefährlich«
Der Aktivist Mazin Al-Raschid Al-Zain über zivile Selbsorganisation im Krieg
Was können Sie uns über die Perspektive der Zivilisten auf den Krieg im Sudan erzählen?
Das sudanesische Volk hatte es nie leicht, und dieser Krieg macht alles nur noch schlimmer. Viele haben ihre Arbeit und ihre Einkommensquellen verloren, dadurch entstand die Notwendigkeit für den Betrieb von Gemeinschaftsküchen wie der unseren. Ich arbeite als Fotograf, habe also meine Fotos verkauft, um davon Grundnahrungsmittel für eine Woche Betrieb zu kaufen. So fing alles an. An einem normalen Tag geben wir Essen für ungefähr 270 Familien heraus. Eine Familie besteht durchschnittlich aus sieben Personen. Ich verwende die Plattform, die ich beruflich habe, um Spenden zu sammeln. Diese Spenden haben unseren Betrieb bisher finanziert. Ich wünschte, die Welt würde verstehen, wie unser Überleben funktioniert. Wir können uns selbst über Wasser halten und wir können anderen helfen. Alles, was wir brauchen, ist die Möglichkeit, genau das zu tun. Wir brauchen kein Mitleid. Was wir brauchen, ist konkrete Unterstützung und dass auf die Finanziers des Krieges Druck ausgeübt wird. Damit keine weiteren Massaker, wie in Al-Fascher in Darfur oder Bara in Kordofan begangen werden können.
Wie können die Gemeinschaftsküchen inmitten von Krieg und Hungersnot betrieben werden?
Das ist tatsächlich nicht einfach. Die Preise steigen fast jeden Tag und einige Grundnahrungsmittel sind komplett vom Markt verschwunden. Der Transport von Nahrung ist aufgrund der Treibstoffknappheit und der unsicheren Lage auf den Straßen ebenfalls schwierig. Wir sind von langen Stromausfällen und einer kontinuierlichen Wasserknappheit betroffen. Manchmal wird selbst das Kochen gefährlich, wenn in der Nähe gekämpft wird. Aber was unsere Küche am Leben hält, ist der Gemeinschaftssinn der Beteiligten. Die Leute teilen das wenige, was ihnen bleibt, und Freiwillige kommen jeden Tag; trotz der Erschöpfung und der Angst. Manche helfen seit mehr als 560 Tagen mit. Für sie wird das Helfen zur Möglichkeit, die Verzweiflung zu bekämpfen. Natürlich sind wir auch auf Spenden angewiesen, diese müssen auch nicht groß sein. Auch kleine, regelmäßige Beträge helfen uns dabei, Essen auf Vorrat zu kaufen und vorauszuplanen. Die beste Unterstützung wäre es aber, wenn die internationale Gemeinschaft sich dafür einsetzt, dass Hilfslieferungen und Versorgungsgüter uns wieder sicher erreichen können und diejenigen unter Druck gesetzt werden, die humanitäre Anstrengungen blockieren oder angreifen.
Mazin Al-Raschid Al-Zain betreibt seit Mai 2024 eine Gemeinschaftsküche in einem Vorort von Khartum. Über die Perspektive der Zivilisten auf die Massaker in Al-Fascher und Bara sowie allgemein auf den Krieg sprach mit ihm für »nd« Balduin Bux.
Können sie uns erklären, welche Auswirkungen der Fall von Al-Fascher hat?
Es gab in Darfur im Jahr 2003 bereits einen Völkermord und dieser wird weitergehen, wenn sich nichts ändert. Überall dort, wo die Rapid Support Forces (RSF) das Land kontrollieren, wird es zu Massakern kommen. Wir haben das in Khartum und Al-Fascher, in Bara und Al-Jazira gesehen, überall und von Anfang an. Die RSF versuchen die Gewalt immer nach dem Werk einiger undisziplinierter Soldaten aussehen zu lassen und veröffentlichen auch Statements, in denen sie die Morde, die Erpressungen und die Vergewaltigungen verurteilen und die Festnahme der Täter ankündigen. Doch das ist nur Propaganda, um die Weltöffentlichkeit zu täuschen. Leider scheinen Teile der Welt diese Lügen zu glauben, und das, obwohl dieselben Kräfte ihre Grausamkeiten filmen und ins Internet stellen, wo sie mit der Anzahl der Getöteten angeben.
Mit dem Fall von Al-Fascher haben die RSF einen bedeutenden Etappensieg im Krieg erreicht. Wie schauen Sie in die Zukunft?
Was mich motiviert weiterzumachen, sind die Leute, die ich jeden Tag sehe. Ich sehe Resilienz in jeder Person, die ich treffe. Ich sehe, wie sie jeden Tag anderen Menschen helfen, sie sorgen sich umeinander – selbst um Menschen, die sie nicht kennen. In unserer Küche arbeiten Menschen aus allen Regionen des Sudans wie in einer großen Familie zusammen. Es ist nicht wichtig, woher du kommst oder was dein Hintergrund ist, für uns zählt das Bedürfnis, nicht die Herkunft der Person. Dieser Zusammenhalt, diese Menschlichkeit ist es, was mir und uns Hoffnung für die Zukunft gibt.
Wie erinnern Sie sich an die Revolution von 2019. Glauben Sie, dass es immer noch eine Chance auf einen freien und sicheren Sudan gibt?
Eine Sache, an die ich mich gut erinnern kann, ist, wie die Leute Slogans an die Wände sprühten, was auch jetzt wieder passiert. Während der Revolution musste das schnell gehen. Die Leute schrieben nachts Parolen gegen die Regierung an die Wände, in aller Eile, wegen der Angst, festgenommen zu werden. Natürlich waren es nicht die schönsten Schriftzüge. Heute sehe ich, wie die gleichen, gehetzten und unästhetischen Graffitis zur Unterstützung der RSF gemalt werden. Ich frage mich, warum sie sich so beeilen müssen, da sie einige der Gebiete ja kontrollieren. Ich glaube, dass sie tief im Inneren wissen, dass dieses Land und die Häuser darauf nicht ihnen gehören. Sie leben in konstanter Angst. Das ist es, was mir Hoffnung gibt: Trotz allem werden die Leute, die wirklich an dieses Land glauben und zu ihm gehören wollen, sich weiter füreinander einsetzen und weiter dafür kämpfen, die Vision eines freien und sicheren Sudans am Leben zu erhalten.
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