Alles begann mit einer Kamera

  • nd-Leserin Anke Diethe, Magdeburg
  • Lesedauer: 2 Min.

Unsere Freundschaft mit Lan in Haiphong begann vor genau 61 Jahren. In unsere Stadt war eine Delegation aus Vietnam gekommen, und meine Mutter übergab dem Leiter einen Fotoapparat für ein Mädchen, das genauso alt wie ich sein sollte.

Es dauerte auch nicht lange, da erreichte uns Post mit vielen Fotos aus der Hafenstadt Haiphong. Der Absender war Lan, sie lebte in einer Familie mit zehn Kindern, und der Vater war Hafenarbeiter. Vietnam war damals wie unser Land geteilt, und beide Länder mussten aufgebaut werden. Wir wollten Lan und ihren Freunden helfen und sammelten Schulmaterial, das wir nach Vietnam schickten. Der Briefwechsel zwischen Lan und mir gestaltete sich schwierig, da wir uns nur auf Russisch verständigen konnten, das wir beide in der Schule lernten, aber nur wenige Kenntnisse in der russischen Sprache hatten.

Irgendwann schickt sie lange Briefe auf Vietnamesisch. Wir suchten einen Übersetzer und fanden ihn in Hong, der an der TH Magdeburg Maschinenbau studierte. Meine Familie und er wurden gute Freunde. Er besuchte uns häufig, gemeinsam machten wir Ausflüge und nahmen ihn mit zum Zelten an den Kolumbussee in Gommern. Ja, er wurde sogar zum mutigen Schwimmer - nachdem wir ihm versichert hatten, dass im See keine gefährlichen Tiere leben.

Einmal während seiner Studienzeit durfte Hong in die ferne Heimat fahren. Er versprach uns, dort auch meine Brieffreundin Lan zu besuchen, und nahm auch einige Geschenke mit. Leider wurde er auf der langen Zugreise im Schlaf bestohlen. Aber er verschmerzte das, denn er freute sich auf Lan, der er auch oft Briefe geschrieben hatte. Nun würde er sie endlich persönlich kennenlernen.

Nach dem erfolgreichen Abschluss des Studiums kehrte Hong in seine Heimat zurück und heiratete zu unser aller Freude meine Brieffreundin Lan. Bald hatte ich zwei Patenkinder, Hai Ha und Hai Van, und nahm großen Anteil an ihrer Entwicklung. Sie wurden beide beste Schüler ihrer Schule.

Nach der Befreiung Vietnams zogen Hong und seine Familie nach Südvietnam, wo er stellvertretender Minister für Maschinenbau wurde. Obwohl er in dieser Funktion viele Länder Europas bereiste, kam es leider nie wieder zu einer Begegnung. Irgendwann machten sich meine Patenkinder auf den Weg, um mich zu besuchen. Auch das hat leider letztlich nicht geklappt. Die Hoffnung auf eine Begegnung mit der ganzen Familie indes habe ich noch nicht aufgegeben. Bis dahin verbindet mich das Internet mit einer glücklichen vietnamesischen Familie.

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