Junge Frauen auf der Suche nach sich selbst

Internationales Frauenfilmfestival in Köln zeigt Erstlingswerke junger Regisseurinnen

  • Katharina Dockhorn
  • Lesedauer: 4 Min.
In Köln traf sich in den vergangenen Tagen die Frauenfilmszene zum Internationalen Frauenfilmfestival. Der Wettbewerb war in diesem Jahr wieder Debütantinnen vorbehalten. Deren Werke erzählen häufig Coming-of-Age Storys.

Die 16-jährige Shelly aus einem vergessenen Vorort von Liverpool, die intelligente Teenagerin Layla aus einem staubigen Beduinendorf, die 11-jährige Jashuan aus dem Pinewood-Reservoir in South Dakota, die 13-jährige Tochter eines Wanderarbeiters in Bulgarien, die 11-jährige Alba aus Quito oder die 19-jährige Maja aus einer Sozialsiedlung am Rande von Budapest haben ähnliche Ausgangsbedingungen für ihr Leben. Die Väter haben die Familien im Stich gelassen, die Mütter sind überfordert. Früh haben sie gelernt, für sich selbst und jüngere Geschwister zu sorgen. Sie ringen mit Mobbing in der Schule, sie entdecken ihre Sexualität und kämpfen mit einer männerdominierten Welt, mit Traditionen und Einsamkeit. Und doch lassen sie sich – oft im Gegensatz zu den gleichaltrigen Jungs – ihre Träume von Freiheit, beruflichem Aufstieg und selbstbestimmten Dasein nicht nehmen.

Die jungen Frauen und Mädchen sind die Heldinnen der Debütfilme des »Internationalen Frauenfilmfestivals« in Köln. Acht Filme von jungen Regisseurinnen konkurrierten mit ihren Erstlingen in einem hochkarätigen Wettbewerb. Sie beherrschen ihr Handwerk, sie spielen mit dramaturgischen Strukturen und durchbrechen mit spannenden, einfühlsam beobachteten Storys gängige Erzählmuster. Vor allem haben sie Mut, den Zuschauer mit auf eine Reise zu nehmen, in der er Lücken mit eigenen Assoziationen besetzen kann.

Oft sind die Coming-of-Age Storys von den eigenen emotionalen Erfahrungen geprägt. So wurde Israelin Elite Zexer regelmäßig von ihrer Mutter mit in die Beduinendörfer am Rande der Wüste Negev genommen, wo sie die Familienbande studierte. Ihre Layla aus dem Drama »Sand Storm« ist in einen Mitschüler verliebt, doch ihr Vater ist gefangen in den Zwängen der Bräuche des Clans und hat schon längst einen Bräutigam für sie ausgesucht. Ihre Mutter ist derweil in der eigenen Bitternis gefangen, nachdem sich der Vater eine Zweitfrau genommen hat.

Jashuan aus »Songs my brother taught me« der Amerikanerin Chloé Zhao hat dagegen Angst, dass ihr Bruder mit seiner Freundin durchbrennt und sie ihren wichtigsten Bezugspartner verliert. In »The Violators« bleibt die Britin Helen Walsh ihrem Lieblingsthema treu. Schon in ihren Bestsellern stellte sie sich der komplexen Gefühlswelt in der Pubertät. Die attraktive Shelly wird zum Objekt der Begierde des Kredithais Mikey, dem ungekrönten König des herunter gekommenen Viertels. Als ihr gewalttätiger Vater aus dem Gefängnis entlassen werden soll, will sie ihren kleinen Bruder beschützen und gerät in einen Strudel von Zwängen, aus dem es keinen Ausweg gibt.

Aus ihrem Milieu will die 19-jährige Maja in »Wednesday Child« der Ungarin Lili Horváth ausbrechen. Nur so kann sie das Sorgerecht für ihren vierjährigen Sohn zurückzugewinnen. Mit einem Minikredit will sie eine Wäscherei aufbauen, doch bei jedem Wiedersehen mit ihrem Freund Krisz brechen sich die alten kriminellen und sozialen Gewohnheiten wieder Bahn.

Auffallend an den Filmen ist, dass ihr Ende offen bleibt. Die Filmemacherinnen bieten aber niemals Rebellion gegen Traditionen und den Ausbruch aus der gewohnten Umgebung und Traditionen als Königsweg an. Sie plädieren für eine Emanzipation im Kleinen und die Besinnung auf klassische Familienwerte.

Künstlerisch vertrauen die jungen Filmemacherinnen ihren herausragenden jungen Darstellerinnen. Sie setzen Dialoge nur ein, wo es unbedingt nötig ist und vertrauen auf die Kraft ihrer Bilder. Die Drehbücher haben sie meist über Jahre mit Hilfe von Werkstätten von Festivals und Fonds aus aller Welt entwickelt. Mit dem Filmemachen selbst beginnt dann auch »Baden Baden«, der dritte Film einer Trilogie über das Erwachsenwerden der Französin Rachel Lang. In ihrem Film schmeißt die Regieassistentin Ana den Job nachdem sie vom Aufnahmeleiter für ihr Zuspätkommen angeschrien wurde. Bei ihrer Großmutter in Straßburg holt sie die Versäumnisse des Wilden Jugendlebens nach.

Aus diesem inhaltlichen Focus fiel »Liebman« von Jules Herrmann heraus. Auch die deutsche Regisseurin weigert sich lange in ihrem Porträt eines Aussteigers, den es mit Ende 30 aus Deutschland nach Nordfrankreich verschlagen hat, Kausalitäten oder etwa die Ursache für das Schweigen über seine Herkunft zu erklären. Sie konzentriert sich ganz auf die Beobachtung der Chancen eines Neubeginns. Das hat ihr immerhin eine Nominierung für die Reihe »Perspektive Deutsches Kino« der Berlinale gebracht.

Das Kino von Frauen ist weltweit im Aufwind. Maren Ade vertritt die deutschen Farben im Wettbewerb von Cannes, zwei von sechs Nominierungen für den deutschen Filmpreis gingen an Regisseurinnen. Doch während bei uns nur rund ein Fünftel der Kinofilme von Frauen inszeniert werden, ist Mexiko schon weiter. 140 Filme wurden dort im Vorjahr gedreht, 35% von Frauen. Ihrem Oeuvre war der Länderschwerpunkt in Köln gewidmet.

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