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Spurensuche im braunen Sumpf

Das Buch »Generation Hoyerswerda« informiert über das Netzwerk der Neonazis

Hätte die NSU-Mordserie verhindert werden können? Ein Buch beantwortet viele Fragen und wirft zugleich immer neue Fragen auf.

»Piatto berichtet zuverlässig und umfassend. Aufträge führt er gewissenhaft aus. Er ist in hohem Maße lernfähig. Seine Einsatzbereitschaft ist bemerkenswert.« So steht es in einem internen Vermerk des brandenburgischen Verfassungsschutzes vom 2. Juli 1999 über ihren vermeintlich wertvollsten Spitzel in der rechten Szene. Im Jahr 2000 wurde V-Mann »Piatto« abgeschaltet. Bis dahin hatte er vom Verfassungsschutz rund 50 000 Euro für seine Informationen kassiert, darunter ein vager Hinweis auf den Verbleib des untergetauchten NSU-Trios Beate Zschäpe, Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt in Chemnitz.

Carsten Szczepanski alias »Piatto« begann seine Spitzeltätigkeit spätestens 1994. Damals saß er im Gefängnis. Als gewalttätige Kumpane einen Nigerianer fast zu Tode prügelten und beinahe im Scharmützelsee ertränkten, soll er dabeigestanden und sie angefeuert, vielleicht auch angestiftet haben. Ein Skinheadmagazin Szczepanskis entstand aus dem Knast heraus, möglicherweise in der Gefängnisdruckerei. Als Piatto Freigang erhielt, chauffierte ihn der Geheimdienstler Gordian Meyer-Plath zu Rechtsrockkonzerten und Szenetreffs, damit er sich umhören und berichten kann.

1996 befassten sich beim Geheimdienst in Brandenburg ungefähr vier Quellenführer mit rund vier Quellen. Man fühlt sich bei der Durchsicht dieser Statistik für die Jahre 1992 bis 2000 veräppelt, denn wie können Zahlen zwischen null und fünf ernsthaft geschätzt sein?

Es gibt immer noch so viele Fragen zum NSU-Komplex. Die Bundestagsabgeordnete Petra Pau (LINKE) ist »froh«, dass es in Brandenburg »nun endlich« auch einen NSU-Untersuchungsausschuss geben soll. Sie ist deswegen schon in Potsdam gewesen, hat die Linksfraktion im Landtag besucht, Hinweise gegeben.

Einen ausgezeichneten Überblick über die Verästelungen der NSU-Affäre nach Brandenburg, gibt der im Frühjahr auf der Leipziger Buchmesse präsentierte Titel »Generation Hoyerswerda«. Zu den Autoren des Buches gehören namhafte Wissenschaftler und Journalisten, die fundierten Kenntnisse über die Details der NSU-Affäre haben, über die Vorgeschichte und über neofaschistische Strukturen in Brandenburg Bescheid wissen. Wer verstehen möchte, wie der braune Sumpf in Ostdeutschland und speziell in Brandenburg nach der Wende scheinbar aus dem Nichts entstehen konnte, der sollte dieses Buch lesen - und wird beispielsweise erfahren, dass es Neonazis in der DDR schon früher gegeben hat und das diese in den 1980er Jahren immer mehr zu einem echten Problem geworden sind, das aber tunlichst verschwiegen wurde. Nach der Wende haben dann solche Neofaschisten mit Hilfe von Alt- und Neonazis aus dem Westen orientierungslos gewordene Jugendliche in großer Zahl an sich binden können.

Ein Kapitel zu dem Buch steuerte die Rechtsanwältin Antonia von der Behrens bei. Sie vertritt im Münchner NSU-Prozess die Hinterbliebenen von Mehmet Kubaşık, der 2006 in Dortmund ermordet wurde. Von der Behrens schreibt unter der Überschrift »Gedächtnislücken und gesperrte Akten«, es gebe »konkrete Hinweise darauf«, dass Kubaşık und die anderen Opfer noch leben könnten, wenn der Verfassungsschutz die Informationen von »Piatto« an die Polizei weitergegeben hätte.

Der Titel »Generation Hoyerswerda« führt in die Irre, da die Stadt Hoyerswerda in Sachsen liegt. Tatsächlich geht es um Neonazis in Brandenburg. Für die Generation dieser Neonazis sind die Ausschreitungen gegen ein Asylheim in Hoyerswerda 1991 ein prägendes Ereignis gewesen.

Heike Kleffner und Anna Spangenberg (Hrsg.): »Generation Hoyerswerda«, be.bra, 304 Seiten, 20 Euro

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