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Die AfD ist es nicht

Wird alles besser, wenn die soziale Frage stärker betont wird? Muss man die Ängste der Rechtsaußen-Wähler ernst nehmen? Tom Strohschneider zur Strategiedebatte in der Linkspartei

  • Tom Strohschneider
  • Lesedauer: 4 Min.

Nun ist die Petry-Truppe also auch im Nordosten an der Linkspartei vorbeigezogen – die AfD erhält laut Umfrage für Mecklenburg-Vorpommern so viel Zustimmung wie die Sozialisten bei den Wahlen vor fünf Jahren. In neun Bundesländern stehen die Rechtsaußen inzwischen besser da als die Linkspartei. Der AfD-Aufstieg zeigte sich vor allem bei den Märzwahlen. Seither wird auch in der Linkspartei darüber debattiert, was dem Rechtsruck entgegenzusetzen ist.

Das ist dringend nötig. Es ist aber genauso nötig, dabei nicht von Anfang an in Sackgassen hineinzusteuern. Weder strategisch noch wahltaktisch noch politisch noch medial ist es sinnvoll, sich an der Frage abzuarbeiten, ob und wie man ein paar AfD-Wähler für die Linkspartei »zurückgewinnen« kann. Genau das aber ist das Raster, in dem sich ein Teil der linken Diskussion über »die Lehren aus den Wahlen« derzeit bewegt.

Einen zugespitzten Ausdruck findet das in jener Art politischen Ausdruckstanzes, der meist dann zur Aufführung kommt, wenn strategische Angelegenheiten als innerparteiliche Machtspiele betrachtet werden. Oder als Ersatzveranstaltungen für Programmdebatten. Klar: Es ist überhaupt keine Petitesse, wie sorgfältig sich Linke von rechter Rhetorik abgrenzen und wo jene rote Linie beachtet wird, hinter der das trübe Wasser wahltaktischen Opportunismus› vor sich hin müffelt. Es ist aber auch nicht sinnvoll, eine Strategiedebatte auf die Frage »Wie reagieren wir auf die AfD?« zusammenschrumpfen zu lassen.

Erstens: Die gern ins Feld geführte Behauptung, die Linkspartei hätte bloß die soziale Frage stärker betonen und populärer beantworten müssen, dann wäre auch die Niederlage nicht so deutlich ausgefallen, ist irreführend. Man kann weder behaupten, die Partei hätte das Thema in den Wahlkämpfen ausgespart. Noch trägt der dahinter stehende Gedanke: dass Menschen, die AfD angekreuzt haben, sich anders entschieden hätten, wenn die Linkspartei noch lauter nach einer Millionärssteuer gerufen hätte.

Zweitens: Gern wird gefordert, man dürfe die AfD-Wähler nicht unterschiedslos als rassistisch bezeichnen. Das ist so richtig wie die Aussage, man könne doch nicht alle Linkspartei-Wähler sozialistisch nennen. Worauf aber zielt, wer sagt, man müsse »die Ängste ernst nehmen«? Gemeint ist: Diese Leute haben echte Sorgen, sind aber leider, leider in die Arme von bösen Rattenfängern gelangt, von wo aus sie zur schnellen Umkehr bewegt werden könnten, wenn nur auch die Linkspartei wieder mehr Kante gegen »die da oben« zeigen würde.

Doch zwischen sozialer Lage des Einzelnen und seinem Wahlverhalten liegen mehr als nur zehn Zentimeter oder drei Wochen. Wie und über welche Zeiträume sich das »Ensemble gesellschaftlicher Verhältnisse« in Köpfen als Sediment aus Alltagsbetroffenheit, politischen Rahmensetzungen und sich verändernden Einstellungen ablagert, haben Jörg Schindler und Tobias Schulze am Beispiel von Sachsen-Anhalt nachgezeichnet. Sehr verkürzt könnte man sagen: Der AfD-Wähler ist nicht in der »Flüchtlingskrise« entstanden – es gab ihn lange vorher. Und er hat sich auch nicht bloß »verwählt«, sondern bewusst für eine offen rechtsradikale Partei entschieden. Glaubt jemand wirklich, solche Leute ließen sich kurzfristig »zurückzugewinnen«, ohne dass das Spuren in der eigenen Politik hinterlässt?

Womit wir bei drittens wären: Eine nähere Betrachtung der Wahlergebnisse vom März zeigt, dass die Linkspartei auch ohne Abwanderung einstiger Anhänger Richtung AfD knietief in der Pleitezone gestanden hätte. Es geht um gut 60 000 Stimmen – aber selbst ohne diesen Verlust hätte es im Südwesten nicht zu zwei Achtungserfolgen und in Magdeburg nicht für Platz zwei gereicht.

Warum gewinnt die Linkspartei nicht in einer mehrheitlich auf ihre Partei stinkwütenden SPD-Anhängerschaft dazu? Warum reüssiert sie nicht bei den Nichtwählern? Warum gelingt es ihr nicht, jenes bis in bürgerlich-konservative Kreise reichende »Lager der Solidarität« wahlpolitisch stärker für sich zu interessieren, das sich landauf, landab um Geflüchtete kümmert sowie gegen Neonazis und die AfD auf die Straße geht?

Die (Mobilisierungs-)Schwäche der Linkspartei ist älter als das Phänomen AfD – wenn sie nach Antworten darauf suchen will, müsste sie zunächst die richtigen Fragen stellen.

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