Käpt’n Sellering und der Eisberg

  • Hagen Jung
  • Lesedauer: 3 Min.
Die SPD in Mecklenburg-Vorpommern hat Erwin Sellering zum Spitzenkandidaten für die Landtagswahl im Herbst gekürt. Trotz schlechter Umfragewerte gibt man sich optimistisch.

Zum Gesang eines Shanty-Chores hat sich Mecklenburg-Vorpommerns SPD in die letzten vier Monate vor der Landtagswahl hinein geschunkelt. Vielleicht hat das jetzt beim Wahlparteitag in Neubrandenburg ein wenig geholfen gegen Symptome der Seekrankheit, die es bei den Sozialdemokraten geben könnte angesichts miserabler Umfrageergebnisse in jüngster Zeit. Doch trotz der vorhergesagten 22 Prozent der Wählerstimmen - 2011 bekam die SPD fast 36 Prozent - stand Erwin Sellering, Landesvorsitzender seiner Partei und Regierungschef, optimistisch vor den rund 100 Delegierten. Wie ein Kapitän, der den nahenden Eisberg nicht sehen will, verhieß er: Die SPD wird wieder stärkste Partei sein.

Als »Eisberg«, der diese Hoffnung in Schwanken bringen und am 4. September das Wahlergebnis der Sozialdemokraten in die Tiefe reißen könnte, lauert die AfD. Ihr verheißt die aktuelle Prognose 18 Prozent. Ob und wie sich diese Bedrohung umfahren lässt? Käpt'n Sellering weiß Rat. Die SPD, so der Spitzenkandidat sinngemäß, müsse auch potenziellen Wählern der Rechtspopulisten klar machen, dass eine Stimmabgabe für jene Partei falsch und ein Votum für die SPD der richtige Schritt sei.

Der beste Schritt, so versuchte Sellering zu vermitteln. Zum einen mit dem Fingerzeig auf rot-schwarze Erfolge wie sinkende Arbeitslosigkeit und erfreuliche Zahlen im Tourismus, zum anderen, indem er die übrigen demokratischen Parlamentsparteien mehr oder weniger bekrittelte. Gewiss, man arbeite fair mit dem Koalitionspartner CDU zusammen, aber: Während der sich besonders für die Wirtschaft engagiere, habe die SPD das Soziale im Fokus. »Unanständig« seien Schreckensbilder, die von den Grünen gemalt würden, und auch die Linkspartei zeichne vieles düster und verspreche Lösungen, ohne deren Finanzierung auf solide Füße zu stellen. Dennoch gebe es »gemeinsame Ziele«. Avancen in Richtung Rot-Rot?

Allerdings muss der Käpt'n nicht allein mit der AfD, sondern mit einem weiteren Hindernis in der Fahrrinne zum Wahlerfolg fertig werden. Eine Klippe ist aufgetaucht, die den Sozialdemokraten durchaus Stimmen wegkratzen könnte: die windkraftkritische Partei »Freier Horizont«. Gegen eine »völlig aus dem Ruder gelaufene« Umsetzung der Energiewende wende sie sich, sagt ihr Vorsitzender Norbert Schumacher. Dennoch sei sie keine reine Antiwindkraftpartei. Ihr gehe es um die wirtschaftliche Entwicklung aller Landesteile sowie um gleichwertige Lebensbedingungen im ländlichen Raum, an der Küste und in den Städten. Am Montagabend sollte das Wahlprogramm beschlossen werden.

Das Wahlprogramm der SPD, das die Genossen siegessicher »Regierungsprogramm« nennen, wurde einmütig abgesegnet, allerdings ohne eine vom Kreisverband Vorpommern-Greifswald eingebrachte Ergänzung: Nächtliche Abschiebungen von Asylbewerbern sollten verboten werden. Die Mehrheit im Saal schmetterte diesen Antrag ab.

Fast einmütig setzte die Parteitagsrunde Sellering auf den Spitzenplatz der Liste zur Landtagswahl: Der 66-Jährige erhielt 92,6 Prozent der Delegiertenstimmen, gefolgt von Landtagspräsidenten Sylvia Bretschneider (93,7) und Energieminister Christian Pegel (88,3) vor Sozialministerin Birgit Hesse (92,6). Das beste Ergebnis - 95,7 Prozent - erzielte Agrarminister Till Backhaus; er kam auf Platz 5 der Kandidatenliste.

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