Primitiv, aber laut

Wenn in der Oper in Berlin gebuht wird, missfällt das nicht nur Daniel Barenboim

  • Julia Kilian
  • Lesedauer: 3 Min.

Bernd Schwab schiebt erstmal eines vorneweg. »Ich applaudiere ganz heftig und ganz viel«, sagt er. »Da darf jetzt kein falscher Eindruck entstehen.« Schwab ist ein eher unauffälliger Mann, Anfang 60, mit Hemd und Jackett. Er geht privat viel in die Oper. Viel, das heißt bei ihm etwa siebzig Abende im Jahr. Bernd Schwab klatscht dann gern. Bernd Schwab ist aber auch schon heiser aus dem Saal gegangen. Weil er so viel gebuht hat.

Für ihn sei das manchmal der einzige Weg, seinen Ärger loszuwerden, sagt der Berliner, nämlich wenn er die Inszenierung eines Regisseurs gar nicht verstehe. Es ist nicht so, dass sich Schwab keine Mühe gibt. Er sagt, er lese viel, bevor er eine Premiere sieht. Überhaupt, neue Inszenierungen schaut er mindestens dreimal. Um reinzukommen ins Stück. Manchmal platzt ihm dann aber trotzdem der Kragen. »Ich bin ja der Regie ausgeliefert, nix weiter. Ich kann ja nichts machen«, sagt er. »Dann staut sich irgendetwas halt auf.« Dann wird er laut.

In deutschen Opernhäusern kann man das Phänomen krakeelender Zuschauer manchmal erleben, allen voran in Berlin und Bayreuth. So erklärt es Musikwissenschaftler Anno Mungen von der Universität Bayreuth. »Wo es relativ selten der Fall ist? In den USA. In New York habe ich das nicht erlebt, an der Met.«

Mit den lauten Unmutsäußerungen ist nicht jeder einverstanden, allen voran naturgemäß die Opernmacher selbst. Dirigent Daniel Barenboim von der Berliner Staatsoper findet das primitiv. »Sehen Sie: Wenn Sie in ein sehr gutes Restaurant gehen und das Essen gefällt Ihnen nicht, gehen Sie dann in die Küche und schreien den Koch an? Nein!«, sagte der 73-Jährige der dpa. »Sie geben vielleicht ein bisschen weniger Trinkgeld als sonst und gehen vielleicht nie wieder in dieses Restaurant.« In der Oper ist das natürlich nicht ganz so einfach.

Auf neue Zuschauer kann es komisch wirken, wenn im Publikum manche in tiefen Lauten losbuhen. Und andere fleißig weiter klatschen. Das kann fast zu einem zweiten Konzert ausufern. Buuuuh. Klatschklatschklatsch. Nach Angaben der Deutschen Oper in Berlin sind Buhrufe grundsätzlich zulässig. »Es ist selbstverständlich erlaubt, im Zuschauerraum seine Meinung kundzutun«, sagt eine Sprecherin. Und was sagt der Knigge, die Benehmensbibel? Linda Kaiser von der Deutschen Knigge Gesellschaft findet Buhrufe unangebracht und überflüssig. Wenn es einem gar nicht gefalle, könne man in der Pause gehen. »Leere Zuschauerplätze sprechen für sich.«

Auch Bernd Schwab entscheidet sich manchmal so. Oder er verweigert den Applaus. Er ist ja kein unhöflicher Mensch. Wenn er in sein Lieblingsopernhaus - die Deutsche Oper in Berlin - geht, kennt er die Pförtner mit Namen und winkt vielen Menschen. Er sagt, er würde nie einen Sänger ausbuhen. »Das finde ich unfair.« Aber seinem Unmut über einen Regisseur macht er Luft. Sein »Buhgewitter«, so nennt Schwab das, hat er in der aktuellen Saison schon drei mal losgelassen. Er glaubt, es würden eigentlich oft mehr Menschen buhen, sie trauten sich aber nicht. dpa/nd

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