Geliebt, gefürchtet - ausgestopft

Vor zehn Jahren betrat Braunbär »Bruno« im Graswangtal bayerischen Boden

  • Sabine Dobel, München
  • Lesedauer: 5 Min.
Wie ein netter Teddy benahm er sich nicht. »Bruno« fraß Schafe, lief mitten durch Orte. Diagnose: falsch erzogen, ein »Problembär«. Vor zehn Jahren kam das Tier aus Italien nach Bayern. Es endete im Museum.

Die einen feierten ihn als Freiheitshelden und Mahatma Gandhi der bayerischen Wälder. Die anderen forderten seinen Tod. Im Sommer 2006 streifte Braunbär »Bruno« durch den Freistaat, stahl Honig, riss Schafe - und sorgte weltweit für Schlagzeilen. Nach nicht einmal zwei Monaten wurde er abgeschossen: zu gefährlich für das zivilisierte und dicht besiedelte Bayern. Seither kam kein Bär mehr.

Als vor zehn Jahren im Mai der junge Bär in Österreich Richtung Bayern unterwegs ist, spricht ihm der damalige Umweltminister Werner Schnappauf (CSU) ein herzliches Willkommen aus. Und aus dem Ministerium heißt es: »Wir wollen wirklich ein netter Gastgeber sein.« Am Wochenende des 20. und 21. Mai 2006 setzt »Bruno« dann als erster Braunbär seit 170 Jahren seine Tatzen auf bayerischen Boden - und hinterlässt gleich eine blutige Spur: Bei Dickelschwaig im Graswangtal bei Garmisch-Partenkirchen reißt er drei Schafe. Tags darauf, es ist ein Sonntag, werden bei Farchant vier weitere Tiere tot gefunden.

Die Stimmung kippt. Was die Behörden am meisten beunruhigt: »Bruno« wagt sich nah an Orte heran - es könnte gefährliche Begegnungen mit Menschen geben. »Wir haben dann einen Unterschied zwischen dem normal sich verhaltenden Bär, dem Schadbär und dem Problembär. Und es ist ganz klar, dass dieser Bär ein Problembär ist«, erläutert der damalige Ministerpräsident Edmund Stoiber (CSU) die Sache. »Der Bär ist zu einem Problembären geworden«, konstatiert auch das Umweltministerium. Er wird zum Abschuss frei gegeben. Tierschützer sind empört.

»Ich hatte weinende Tierfreunde am Telefon: ›Ihr müsst ihn retten‹«, erinnert sich Jörn Ehlers vom WWF. Der Umweltverband lässt aus den USA eine Bärenfalle einfliegen, eine Alu-Röhre: »Bruno« soll in ein Wildgehege, ist nun das Ziel. Auch in der Ferne verfolgen Menschen sein Schicksal. Es sei das einzige Mal gewesen, dass er Anrufe von der »Washington Post« und der »New York Times« bekommen habe, sagt Ehlers.

Der damalige Münchner Zoo-Direktor Henning Wiesner bietet an, das gut 100 Kilo schwere Tier per Blasrohr-Schuss zu betäuben. Die Idee, den jungen Bären mit einer Bärendame anzulocken, wird verworfen. Bären werden erst mit vier bis fünf Jahren geschlechtsreif, heißt es. Bruno ist aber erst zwei und interessiert sich noch nicht für Bärinnen. Er sei nur scharf auf Schafe, erklärt ein Ministeriumssprecher.

Mit seinen Eskapaden zieht »JJ1« - Erstgeborener von Mutter »Jurka« und Vater »José« - Sympathien auf sich. Es gibt Solidaritäts-T-Shirts mit Aufdrucken wie »JJ Guevara« oder »Mich kriegt ihr nie«. In Tourismusorten im Oberland werden Bärenhonig und süße Bärentatzen angeboten, im Internet erfreut sich das Spiel »Jagd auf Bruno« wachsender Beliebtheit. In den Medien ist er längst ein »Schlaubär« oder »Braunbär Bruno Superstar«.

Für den Tiroler Landesrat Anton Steixner hingegen ist klar: »ein Sonderling«. Experten sind sich einig: Das schlechte Benehmen hat »Bruno« von Mutter »Jurka« gelernt. Sie hat ihrem Nachwuchs gezeigt, dass sich bei den Menschen gut fressen lässt, solange man nicht an den Tatort zurückkehrt - wie es Bären normalerweise tun.

Bayern holt für mehrere zehntausend Euro finnische Bärenjäger mit Elchhunden. »Bruno«, der viele hundert Kilometer zurücklegt und vermutlich oft um sein Leben läuft, scheint sie nur zu narren. Er läuft durch den Ort Kochel, rastet unter den Augen von Kneipengästen direkt vor der Polizei - um sich aus dem Staub zu machen, bevor die Finnen dort eintreffen. Nach zwei Wochen reisen sie ab. Schließlich wird »Bruno« erneut zum Abschuss freigegeben - - am 26. Juni wird er im Rotwandgebiet erlegt. Der Schütze ist unbekannt. Morddrohungen gegen Verantwortliche kursieren. Die Emotionen schlagen hoch. »Er war der Mahatma Gandhi der bayerischen Wälder«, schreibt ein Fan im Internet. »Er wurde zum Symbol der Freiheit, zum letzten Einzelkämpfer, der durch die engen Maschen unseres Staates schlüpfen konnte.«

Ehe »Bruno« ausgestopft als Honigdieb neben großen Grizzlys im Münchner Museum Mensch und Natur ausgestellt wird, liegt er ein Jahr lang tiefgefroren an einem geheimen Ort. Paparazzi sollen versucht haben, an ihn heranzukommen. Im Tiefkühlfach eines Hobbyjägers lagert zur selben Zeit eine der letzten Hinterlassenschaften »Brunos«, für Jäger eine wichtige Spur. Der Versuch, das Kothäufchen im Internet zu versteigern, scheitert. Zwischen Rom und München sorgt der gefrorene Bär zeitweise für frostige Stimmung: Rom möchte den Kadaver, da »Bruno« zum Bären-Projekt in der Adamello-Brenta-Gebirgsgruppe gehörte und darum Eigentum Italiens sei.

Derzeit ist kein Bär zu erwarten. Die Population in Österreich, die vor zehn Jahren gut 20 Tiere umfasste, gibt es nicht mehr. »Viele sind spurlos verschwunden. Von einigen weiß man, dass sie gewildert wurden«, sagt Roland Gramling vom WWF. Nach dem Tod eines Jägers wurde bei dessen Witwe ein ausgestopfter Bär gefunden. In »Brunos« Heimat Italien wächst die Skepsis. 2015 fiel eine Bärin einen Jogger an; davor verletzte die Bärenmutter »Daniza« einen Pilzsammler.

Für den Fall, dass doch irgendwann wieder ein Bär nach Bayern kommen sollte, haben die Behörden einen Managementplan in der Schublade. Die Tipps für die Begegnung mit einem Bären sind etwas für starke Nerven: Bei einem Angriff flach auf den Boden legen, Hände im Nacken. Beschnuppern lassen. Und warten, bis der Bär abzieht. dpa/nd

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