Kompendium der Hamburger Architektur-Ikonen

In der Elbestadt sind mehr als 240 Kontorhäuser erhalten - nur wenige sind überregional bekannt

  • Britta Warda, Hamburg
  • Lesedauer: 3 Min.
Kontorhäuser gehören zu Hamburg wie Alster, Elbe und Michel. Kaum eine andere Stadt kann so viele bedeutende Bauten dieser Architekturgattung vorweisen. Ein Buch erklärt deren Besonderheiten.

Das Kontorhausviertel im südöstlichen Bereich der Hamburger Altstadt hat mit seinen einzigartigen Bauten weltweite Berühmtheit erlangt und wurde im vergangenen Jahr zum UNESCO-Welterbe erklärt. Ein Buch aus dem Dölling & Galitz-Verlag befasst sich den Bauwerken - nicht nur mit den Architektur-Ikonen Chilehaus und Meßberghof, sondern mit allen 240 in der Hansestadt erhaltenen Geschäftshäusern.

Der Bautyp entwickelte sich in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhundert, wobei der Begriff »Kontorhaus« erst ab 1900 allgemein verwendet wurde. Er bezeichnet ein gemeinsames Büro- und Geschäftshaus hafenabhängiger Unternehmen. Als Prototyp gilt der 1886 fertiggestellte Dovenhof des Architekten Martin Haller. Das damals mehr als 10 400 Quadratmeter große, innovative Gebäude verfügte über Zentralheizung, elektrische Beleuchtung und war mit einem Paternoster ausgestattet - seinerzeit der erste Umlaufaufzug in Kontinentaleuropa!

Der Dovenhof ist heute nicht mehr erhalten. Obwohl es den Krieg überstanden hatte, fiel das geschichtsträchtige Gebäude im Jahr 1967 dem Neubau des Hochhauses zum Opfer, in welches dann die Redaktion des Nachrichtenmagazins »Der Spiegel« einzog. Aus Sicht des Denkmalschutzes war der Abriss ein unverzeihlicher Fehler.

Mit dem Bau der Mönckebergstraße erreichte die Kontorhausarchitektur um 1910 ihren ersten Höhepunkt. Abgesehen von dem Pavillon Ecke Spitalerstraße - damals Sitz der Bücherhalle und später Verkaufsraum eines Hamburger-Braters - und dem Warenhaus Karstadt, wurden in der Straße ausschließlich Kontorhäuser errichtet.

Es gab damals keine Vorgaben, die auf ein gestalterisch einheitliches Erscheinungsbild abzielten. So entstand eine große Bandbreite von Entwürfen - vom Jugendstil bis zur Reformarchitektur. Die Meinungen über die uneinheitlichen Fassaden gingen weit auseinander. Während einige Beobachter schwärmten, las man in der Fachzeitschrift Bauwelt: »Die Fassadengestaltung einzelner Gebäude mag noch so ansprechen, die einheitliche Gesamtwirkung des Straßenbildes ist ausgeblieben.«

Im Zuge der Sanierung der südlichen Altstadt, die sich durch den Ersten Weltkrieg verzögerte, entstand in den 1920er Jahren das heutige Kontorhausviertel. Die in dieser Zeit errichteten Bauten zeichnen sich durch ihre Backsteingotik und die expressionistischen Formen aus, allen voran Fritz Högers 1924 fertiggestelltes Chilehaus.

Seit 1900 setzte sich die Stahlskelettbauweise durch. Dadurch erreichten die Gebäude eine höhere Stabilität und Tragfähigkeit. Diesem Umstand ist es zu verdanken, dass ein Teil der im Zweiten Weltkrieg stark beschädigten Gebäude gerettet werden konnte. Manche Stahlskelettbauten wurden selbst bei direkten Treffern nicht irreparabel geschädigt, so dass ein Wiederaufbau möglich war.

Nach dem Krieg beschlagnahmte die britische Militärregierung das Chilehaus und die benachbarten Gebäude. Als Ausgleich war der Wiederaufbau von 17 Kontorhäusern vorgesehen. Bis zur Gartenbauausstellung im Jahr 1953 konnten die Schäden zu einem großen Teil behoben werden. Bisweilen verzichtete man auf ursprünglich charakteristische Elemente, wie beispielsweise beim Wiederaufbau des Pressehauses. Hier wurde das Springdach weggelassen und das Gebäude dadurch banalisiert.

Der Autor Ralf Lange hat ein einzigartiges Standardwerk über die Entwicklung der Kontorhäuser geschaffen, das mit seinen mehr als 500 Abbildungen, den ausführlichen Texten, einer vollständigen Liste aller erhaltenen Kontorhäuser sowie den Biografien ihrer Architekten jeden Cent wert ist. Uneingeschränkt empfehlenswert!

Ralf Lange: Das Hamburger Kontorhaus: Architektur. Geschichte. Denkmal. Hamburg 2015, Dölling & Galitz, 288 Seiten, 39,90 Euro

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