Werbung

Die guten alten Anti-Atomkriegs-Schunkler

John Watts, besser bekannt unter dem Namen Fischer-Z, gab im Columbia-Theater ein 80er-Jahre-Nostalgiekonzert

  • Thomas Blum
  • Lesedauer: 4 Min.

Nein, nein, der Altherrenrock ist noch nicht ausgestorben. Er lebt! Und erfreut sich ungebrochener Beliebtheit. Ein nicht gerade kleiner Zweig der Unterhaltungsindustrie verdient damit mittlerweile sein Geld. Denn die Nostalgie einer sich in die Zeit der eigenen wilden Jugend zurücksehnenden und stetig wachsenden Konsumentenschar ist heute das Ding, aus dem sich richtig Gewinn schlagen lässt. Wem man erfolgreich für zwei Stunden das Gefühl verkauft, er sei wieder 19 Jahre alt, der lässt sich bereitwillig und gut melken.

Viele beseligt schunkelnde und von Zeit zu Zeit im Takt der Musik den rechten Arm schüttelnde 50- bis 60-Jährige sah man deshalb am Sonntagabend hier, auf dem Konzert von John Watts und seinen drei Mitmusikern im Columbia-Theater. Hmm. John Wer? John Watts?

John Watts ist ein Mann, der in der kurzen Phase zwischen 1980 und 1982 auf dem Höhepunkt seines künstlerischen Schaffens und kommerziellen Erfolges war, als er einer Popband namens Fischer-Z vorstand, die in Großbritannien bis heute kaum einer kennt. In Deutschland jedoch waren Fischer-Z mit ihrem schmissigen, gut mitsingbaren Polit-Pop-Rock, der sich damals geschickt ins Geschäft mit dem so genannten New Wave einfügte, recht erfolgreich und zeitweise so bekannt wie etwa The Police. Zwei, drei eingängige Songs («Marliese», «Room Service») von Fischer-Z wurden seinerzeit ziemlich weit nach oben in die deutschen Charts gespült, und seither fristen sie ihr armseliges Dasein in den Playlisten der unvermeidlichen «Die-besten-Hits-der-70er-80er-und-90er»-Radiostationen, als jederzeit einsetzbares Material.

Watts veröffentlicht seit der Auflösung der Band 1982 mit wechselnden Musikern weiter Platten und unternimmt regelmäßig Live-Tourneen, mal unter seinem Namen, mal unter dem alten Bandnamen Fischer-Z. Wobei «wenn John Watts als John Watts kommt, der Laden halb voll ist. Wenn Watts aber als Fischer-Z kommt, ist ein volles Haus sicher», wie ein Clubbetreiber einmal «Spiegel Online» mitteilte.

Eine gewisse freundliche Leutseligkeit kann man dem Briten bis heute kaum absprechen: Der Mann mit Hut und schwarzem Anzug, der sich, ein paar Gitarrenakkorde spielend und verschmitzt lächelnd, von einem Roadie mit Taschenlampe begleitet, zu Beginn des Abends seinen Weg mitten durchs Publikum bahnt, um so auch die noch draußen im angeschlossenen Biergarten sitzenden Fans auf den Anfang des Konzerts aufmerksam zu machen, ist offenbar ein überaus wohlmeinender Geselle. Von Altersfrust und Überdruss keine Spur. «Der is ja gut druff, Alter!», meint hinter mir jemand. Und das stimmt: Watts ist sichtlich guter Dinge, macht sich gleich beim Berliner Publikum beliebt («Everybody must hate Bayern Munich, don’t they?») und absolviert mit ungetrübter Spielfreude und erstaunlichem Bewegungsdrang seinen nahezu zweistündigen Auftritt.

Bereitwillig bedient er sein Publikum, das vor allem die alten Gassenhauer hören will. Und das ist begeistert, reckt seine Smartphones in die Höhe, brüllt die Refrains mit. Nur immer dann, wenn Watts einen Song von einem seiner nach 1982 erschienenen Soloalben vorträgt, meldet sich hinter mir eine unzufriedene Brummstimme: «Dit sind ja Lieder, die kennt man ja gar nüscht!», empört sich Herr Stulle. Doch kaum ist das eher selten gehörte Stück wieder verklungen, liefert Watts zu Herrn und Frau Stulles Zufriedenheit wieder die guten alten Anti-Atomkriegs-Schunkler von früher: «Down in their bunkers under the sea / Men pressing buttons don’t care about me. (»Red Skies over Paradise«). Jaaa, das kennt das Ehepaar Stulle von dieser roten Anti-Atomkriegsschallplatte von früher! Jetzt wippt und hüpft es wieder andächtig mit!

Auch die eher schlichten Politbekenntnisse, die Watts zwischendurch vorträgt, etwa seine Hinweise darauf, dass die von Donald Trump regierten USA nicht unbedingt wünschenswert und dass die Ex-Staatschefs George Bush und Tony Blair bis heute nicht für ihre »Kriegsverbrechen« belangt worden seien, werden vom dankbaren Publikum mit Applaus bedacht. Watts: »Die Politiker sind zwar nicht mehr dieselben wie damals, aber auch heute sind es immer noch die Armen und Hilflosen, die verletzt werden.«

Am Ende muss Watts noch die alte Westberlin-Hommage »Berlin« bringen. Denn der Berliner will zu einem Song, der nach seiner Stadt benannt ist, unbedingt im Takt klatschen. So ist er, der Berliner.

Abonniere das »nd«
Linkssein ist kompliziert.
Wir behalten den Überblick!

Mit unserem Digital-Aktionsabo kannst Du alle Ausgaben von »nd« digital (nd.App oder nd.Epaper) für wenig Geld zu Hause oder unterwegs lesen.
Jetzt abonnieren!

Linken, unabhängigen Journalismus stärken!

Mehr und mehr Menschen lesen digital und sehr gern kostenfrei. Wir stehen mit unserem freiwilligen Bezahlmodell dafür ein, dass uns auch diejenigen lesen können, deren Einkommen für ein Abonnement nicht ausreicht. Damit wir weiterhin Journalismus mit dem Anspruch machen können, marginalisierte Stimmen zu Wort kommen zu lassen, Themen zu recherchieren, die in den großen bürgerlichen Medien nicht vor- oder zu kurz kommen, und aktuelle Themen aus linker Perspektive zu beleuchten, brauchen wir eure Unterstützung.

Hilf mit bei einer solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl.

Unterstützen über:
  • PayPal