Die rohe Welt im Rücken

HK Grubers »Geschichten aus dem Wiener Wald« in der Komischen Oper Berlin

  • Stefan Amzoll
  • Lesedauer: 5 Min.

Löwen, erlegt von geschäftsmäßig jagenden Geldleuten weißer Hautfarbe etwa im schwarzen Südafrika - dieser Tage lief ein Film darüber - werden sorgfältig gebettet, ihre Köpfe in Positur gebracht und fotografiert. Der jungen Marianne in HK Gubers Oper widerfährt Ähnliches. Unterm Druck der Umstände muss die Halbtote zurück in die Fänge ihres Verlobten Alfred. Der fotografiert sie nicht, bevor sie ihre qualvollste Gestalt angenommen hat. Marianne ist in dem Moment, als es knipst, die verzweifeltste Frau der Welt. - Große Oper begab sich im Haus des Barrie Kosky. Das beherrscht die Spielplankunst der schreienden Gegensätze. Hier Trallala, da bitterer Ernst. Keine Frage, was schwerer wiegt.

Es gibt ein Schwarz-Weiß-Foto: Ödön von Horváth in Murnau in den 1920er Jahren. Der Dichter, Schatten werfend, auf einer Wiese vor Zaun, Gesträuch und Baum, in Lederhose mit Gürtel statt Trägern, Kniestrümpfen, weißem Hemd. Die Haare sind kurz und nach hinten gekämmt. Sein Gesicht ebenmäßig. Schöner Mann im Schrebergarten? Das Profil zeigt glatte Wangen und klar blickende Augen. Ein Österreicher, der fest auf seinem Boden steht? Er ist Österreich-Ungar, liebt Wien und die Donau und schreibt auf Deutsch. Aufgehoben also in der Tradition eines Schubert und Liszt, Karl Kraus und Petöfi.

Es gibt ein weiteres Foto: Horváth 1919, ein Jahr nach der Hölle, deren Öfen heute noch brennen, er, aufs Eleganteste gekleidet, im Plüschsessel zurückgelehnt, eher finster als freundlich schauend. Ein Jahr darauf beginnt er zu schreiben.

Horváth hat die Welt zwischen 1901 und 1938 erlebt. In ihrer ganzen Schönheit und Beschissenheit. Und als er begriff, dass sie weit schlimmer war, als die Zeitungen und Romane je wiedergaben, ist er Dichter geworden. Horváth klagte an, indem er die Begrifflichkeiten des gesellschaftlichen Miefs auf Touren brachte, dem entsetzlich elenden Kleinbürgertum und dem noch teuflischeren, kulturell ach so hoch stehenden Großbürgertum die skribentischen Instrumente zeigte. Darum wurde er als nachdenklicher Mensch und erfolgreicher Bühnenautor verfolgt, geächtet, vertrieben. 1938 erschlugen ihn die einmarschierenden deutschen Faschisten in Wien, nicht erst der herabstürzende Ast, der noch im selben Jahr bei einem Gewitter in Paris seinen Körper traf.

Die Marianne aus seinen »Geschichten aus dem Wiener Wald« ist er selbst, Horváth. Das Stück ist ein Porträt darüber, wie Menschen, obwohl sie sich menschenübermäßig wehren, elend zerbrechen.

HK Gruber, dem Originellsten unter den österreichischen Komponisten, ist es zu danken, dass aus dem Stück eine Oper geworden ist - von solcher Eindringlichkeit, dass sie auf jede Opernbühne zwischen New York und Tokio gehörte. Welch bezirzende Buntheit. Eine »Wiese« vorn, darauf tumbe Camper auf Liegestühlen sich langweilen und lässig an alten Karossen lehnen. Weiber im Bikini, Pulle in der Hand; die meisten rauchen. Typen wie aus dem Bildschirm geschnitten, wenn RTL oder Sat.1 läuft (Kostüme Julie Kornacka). Hinten im Blick die Donau mit Brücke und Ufern. Solch Milieu genügt schon, die musikalischen Waffen blank zu legen, die Szenerie mit schrillen Artikulationen zu befeuern. Wie singt solche Typengalerie, ist zu fragen? In der außer Marianne keiner gut ist? Und welche Instrumente gehören geschärft, den Wahnwitz des Stückes über drei Stunden weg wach zu halten? Ein schwieriges Unterfangen. HK Gruber hat glänzende Lösungen gefunden.

Anfangs ist noch alles in Butter. Alfred, der sanges- und fotografierfreudige junge Fleischer - Tom Erik Lie singt ihn - liebt seine Verlobte, Marianne, und die ihn auch. So scheint es. Aber da fährt schon der sich ewig langweilende, lau singende Oskar heran, ein Feigling, öde Figur, Scheißkerl (Adrian Strooper), anfangs dies noch verbergend, und beeindruckt Marianne tief, so dass sie abfällt von des Fleischers Brust. Aber der Schwerenöter ist arm und im Markt chancenlos.

Ein Kind kommt zur Welt. Welch Unglück! Ohne Ehe kein Kind, murmelt das versaute, keusche, sittsame Österreich in Gestalt dieser Ansammlung von feisten Halunken, während Eislersche Kampfklänge in den Vorgang fahren. Geschäftstriebig, roh, schwarz geledert der »Zauberkönig« des Jens Larsen, ein großer Sänger. Er ist der Vater des in die Enge getriebenen Mädchens und sagt sich schließlich los von ihr. Die stets halbnackte, prall beschenkelte Valerie zieht Marianne herab, indem sie sie ermuntert, von Oskar, mit dem sie selber was hat, abzulassen. Valerie (Ursula Hesse von den Steinen) ist die Puffmutter unter den Tankstellenwärterinnen. Die Tankstelle ist der Ort, wo die Leute tuscheln und ihre Kleinheit und Verdorbenheit sich aus den Zähnen singen. Was will der Bürger mehr als Ruhe und Sittsamkeit? Steht dem jemand entgegen, weg mit dem Jemand.

Oskars Mutter - Rolle, der Christiane Oertel auf den Leib geschneidert - ist der widerlichste Typ. Sie singt den Mord herbei und verübt ihn, ihr Scheißerchen Oskar vor dem Ruin zu bewahren. Was bleibt der Marianne, diese erbärmliche Welt im Rücken, als zum Himmel zu schauen und Arien zu singen, so traurig und schön und brüchig und edel, wie sie die Komische Oper noch nicht gehört hat. Oskar, dieses Schwein, hält das Maul nicht, bevor er das Mädchen ein für allemal von sich gewiesen hat.

Choristen, bisweilen mit Zigarette im Mundwinkel, akklamieren stimmfreudig solche Situationen, oder sie schweigen. Wann, innerlich feixend, schweigt der Klüngel? Wenn die Not des einzelnen am Größten ist. Oder er jubelt wie die Leute, wenn Asylantenheime brennen. Marianne, von Gott verlassen, muss zurück zu diesem Tier von Fleischer.

HK Gruber, Komponist. Sänger, Arrangeur, Texter, Moderator, Spaß-Produzent auf hohem Niveau, schuf eine Partitur vom Besten, was Neue Musik kennt. Wiener Charme leuchtet aus seiner Musik wie aus seinen funkelnden Augen. Dazu grelle, bissige Farben, wie sie Weill und Eisler komponiert haben. Auch in »Geschichten aus dem Wiener Wald« schaukelt Gruber auf den Karussells der Genres und Stile gekonnt und sicher. Das E-und-U-Musik-Gezänk hat für ihn nie eine Rolle gespielt, aber deren Binnenspannungen und Knotenpunkte hält er virulent. Ein ansteckend kreativer, vielfach den satirischen Farben gegenüber offener Komponistentyp. Die Oper zeigt all das.

Das Hausorchester musizierte unter Hendrik Vestmann fabelhaft. Die Solisten sangen noch schwierigste Parts kühn und fehlerlos. Das gesamte Ensemble in der Regie von Michael Zadara präsentierte diese sozialkritische Oper in bester Verfassung.

Nächtste Vorstellung am 29. Mai

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