Die »Vorstufe zum Paradies« wird betoniert

In Bayern wächst die Kritik an der Novelle des Landesentwicklungsprogramms - weiterer Flächenfraß befürchtet

  • Ulf Vogler, Augsburg
  • Lesedauer: 4 Min.
Naturschützer fürchten, dass in Bayern noch mehr Gewerbegebiete auf der grünen Wiese entstehen - durch eine Novelle des Landesentwicklungsprogramms. Die Regierung in München weist das zurück.

Es gibt nettere Plätze, selbst für Imbissstände. Die Dönerbude in der schwäbischen Ortschaft Graben wirkt wie ein Relikt aus vergangenen Zeiten in einer Science-Fiction-Szenerie, denn sie steht inmitten von Lagerhallen - jede so groß wie etliche Fußballfelder aneinander. Der Budenbetreiber lebt von den Amazon-Mitarbeitern, die zum Mittagessen manchmal vom benachbarten Logistikzentrum rüberkommen. Und von den Hunderten Lastwagenfahrern, die nach dem Be- und Entladen schnell etwas zum Trinken holen.

Für den Bund Naturschutz in Bayern (BN) ist das Gewerbegebiet Graben südlich von Augsburg ein Musterbeispiel für die Vernichtung von Natur. Neben Amazon haben sich auch Aldi und Lidl sowie neuerdings BMW mit riesigen Hallen angesiedelt. Vor einem Vierteljahrhundert war die Gegend noch geprägt von kleinstrukturierten Feldern, wie alte Luftbilder zeigen.

Täglich würden 18 Hektar im Freistaat vernichtet, kritisiert BN-Vorsitzender Hubert Weiger. »Der Landkreis Augsburg ist ein Musterbeispiel für diese Fehlentwicklung und ein Ende ist nicht in Sicht«, sagt er, während er in die triste Betonlandschaft blickt. Dann erinnert Weiger daran, dass Ministerpräsident und CSU-Chef Horst Seehofer gerne Bayern als »die Vorstufe zum Paradies« bezeichnet. »Wir würden ihn gerne mal hierhin einladen«, meint der BN-Chef. »Stichwort: Paradies in Bayern!«

Der BN betrachtet den ungebremsten Hunger von Unternehmen nach neuen Flächen als größtes ökologisches Problem im Freistaat an. Auch das Umweltministerium in München sieht einen »nach wie vor zu hohen Flächenverbrauch«. Wenngleich die Behörden nach dem jüngsten Flächenverbrauchs-Bericht, der Zahlen aus 2014 enthält, nur noch von knapp elf Hektar - das sind umgerechnet 15 Fußballplätze - Verbrauch pro Tag ausgehen. Doch der Grund dafür ist lediglich eine Umstellung der Berechnung: Ackerflächen, die zwar bereits in Bauland umgewandelt sind, aber noch nicht zubetoniert sind, werden nicht mehr gezählt. Die Langzeitstatistik mit den alten Zahlen zeigt: Seit 2001 wurden täglich im Freistaat zwischen 15,2 (im Jahr 2004) und 21,6 Hektar (2001) Land vernichtet. Auch im bundesweiten Vergleich steht Bayern nach Ansicht des BN nicht gut da: Der Flächenverbrauch des Freistaates stehe »an der Spitze der alten Bundesländer«.

Und der Naturschutzverband sieht die verbliebenen Äcker weiter bedroht. Grund ist eine geplante Änderung des sogenannten Anbindegebots im Landesentwicklungsprogramm. Bislang müssen in Bayern Gewerbegebiete an Ortschaften angedockt werden, um eine fortschreitende Zersiedelung der Landschaft und Bauen auf grünen Wiesen zu verhindern.

Doch Heimatminister Markus Söder (CSU) hat andere Pläne: »Generell soll das Anbindegebot an Ausfahrten von Autobahnen oder vierspurigen Straßen für Gewerbegebiete und bei interkommunalen Gewerbegebieten sowie bei Ansiedlung wichtiger Tourismus- und Freizeitgroßprojekte gelockert werden«, erklärte er Ende 2014 in seiner Regierungserklärung »Heimat Bayern 2020«. Beschränkungen soll es demnach nur bei Einzelhandelsprojekten geben. »Wir wollen keinen Wettbewerb unter den Kommunen um große Möbel- und Schuhmärkte«, sagte Söder.

Der BN befürchtet dennoch, dass künftig ein »Gewerbebrei« in der Landschaft entsteht. Auch der Bayerische Bauernverband lehnt eine Lockerung oder gar Aufhebung des Anbindegebots ab. Das Ministerium weist die Kritik zurück: »Die Lockerung des Anbindegebots erhöht nicht den Flächenverbrauch, sondern lässt lediglich andere Orte für die Flächeninanspruchnahme zu«, sagt Ministeriumssprecherin Tina Dangl. Nach ihren Angaben soll der Verordnungsentwurf in absehbarer Zeit an den Landtag gehen.

Umstritten ist das Projekt bei den Kommunen. Der Bayerische Städtetag steht einer Änderung skeptisch gegenüber. Der Gemeindetag begrüßt hingegen Söders Pläne: »Das strikte Anbindegebot schnürt bislang die planerische Gestaltungsfreiheit der Kommunen unnötig ein.« BN-Chef Weiger wirft den Kommunen vor, dass sie auch durch die Preisgestaltung den »maximalen Flächenverbrauch« fördern. Durch günstige Quadratmeterpreise würden die Investoren nur ein- statt mehrstöckig bauen, statt eines Parkhauses für die Mitarbeiter entstehe ein riesiger Parkplatz neben dem anderen, sagt er.

Eine solche Entwicklung befürchtet der Verband auch beim »Acht 300 Gewerbepark«, einem gemeinsamen Projekt der Stadt Aichach und der Gemeinde Dasing. Der Name spielt darauf an, dass die Baugrundstücke verkehrsgünstig an der Autobahn 8 und der Bundesstraße 300 liegen. Die Kommunen locken Unternehmen damit, dass vor den Toren Augsburgs die Lohnkosten niedriger seien als im nahen München und auch der Quadratmeterpreis ab 75 Euro »ein Plus für Ihre Rentabilität« biete. Weiger schimpft über diese Angebote: »Weil es so billig ist, geht man in die Fläche, dass es einem graust.« dpa/nd

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