Werbung

Bürger, die in die Röhre schauen

Rendsburg wartet nun schon seit Jahren auf die Fertigstellung eines wichtigen Tunnels

  • Dieter Hanisch, Rendsburg
  • Lesedauer: 3 Min.
Der BER Schleswig-Holsteins ist der Kanaltunnel Rendsburg unter dem Nord-Ostsee-Kanal. Das Projekt ist zu spät, viel teurer und noch lange nicht fertig. Die Betroffen sind genervt.

In Rendsburg und Umgebung liegen die Nerven blank: Die Grundsanierung des Kanaltunnels im Verlauf der Bundesstraße 77 ist längst zu einer unendlichen Geschichte geworden. Bei Stadtspitze, den Anwohnern und der regionalen Wirtschaft ist es jetzt vorbei mit der Geduld. Gemeinsam hat man am Freitagnachmittag demonstriert und bei der Wasserstraßen- und Schifffahrtsverwaltung (WSV) ein Protestschreiben überreicht.

Verkehrsminister Alexander Dobrindt (CSU) und sein Staatssekretär Enak Ferlemann (CDU) sind die eigentlichen Adressaten des Rendsburger Ärgers. Ende Mai hat sich Schleswig-Holsteins Ministerpräsident Torsten Albig (SPD) direkt bei Kanzlerin Angela Merkel (CDU) über das Schneckentempo der 2011 begonnenen Bauarbeiten der 640 Meter langen Kanalquerung beklagt. Ende 2013 sollte die Baumaßnahme ursprünglich fertig sein. Aktuell hat man gerade einmal die Oströhre des Tunnels, also quasi die Hälfte geschafft. Eine Brandschutzübung ist vor wenigen Tagen erfolgreich verlaufen, so dass der TÜV in Kürze wohl die sanierte Teilröhre freigeben wird. Unklar ist noch, wann genau mit der Instandsetzung der Weströhre begonnen wird, durch die augenblicklich der gesamte Verkehr, und das sind täglich etwa 50 000 Fahrzeuge, im Staumodus fließt. WSV und das beauftragte Baukonsortium sind gerade dabei, einen modifizierten Vertrag auszuhandeln. Vor 2019, so die jüngste vorsichtige Prognose, dürfte die Sanierung nicht beendet sein.

An den 16. Februar 2015 im Rendsburger Kreishaus dürfte sich Ferlemann daher nicht allzu gerne erinnern: Dort hatte er großspurig verkündet, man möge sich doch den 19. Dezember 2016 fürs Ende der Sanierungsmaßnahmen notieren. Fällt der Name des Staatssekretärs, wird in der Kanalstadt nur noch mit Häme und Zorn reagiert. Aber auch die veranschlagten Kosten von 25 Millionen Euro sind aus dem Ruder gelaufen. Mittlerweile wird mit 64 Millionen Euro kalkuliert - mindestens. Erkundigt man sich nach Gründen für die problematische Sanierung, wird seitens der WSV stets auf die alte Bausubstanz des 1961 eingeweihten Tunnels verwiesen, aber auch auf geänderte Bauvorschriften im Laufe der Instandsetzung.

Die Debatte ums Arbeitstempo hat die Kostenfrage jedoch in den Hintergrund gerückt, obwohl beides im Zusammenhang steht. Auch der Unternehmensverband Mittelholstein (UVM) erinnert an die bekannte Weisheit »Zeit ist Geld«. Laut deren Geschäftsführer Michael Thomas Fröhlich beläuft sich der tägliche volkswirtschaftliche Schaden für die regionale Wirtschaft durch diesen Verkehrsengpass auf 50 000 bis 60 000 Euro. Daher hatte der UVM sich zum ersten Mal in seiner 111-jährigen Geschichte für eine Protestdemonstration in Form eines zugegebenermaßen nicht sehr originellen Autokorsos entschieden. Fröhlich spricht genau wie Rendsburgs Bürgermeister Pierre Gilgenast (SPD) davon, dass Unternehmen die Region wegen der Verkehrsprobleme bereits verlassen haben und Arbeitsplätze wie Steuereinnahmen verloren gegangen sind. Ver.di nimmt unterdessen die WSV-Bediensteten in Schutz. Dort sei definitiv der falsche Ort, um Dampf abzulassen, meint Fachbereichsleiter Jochen Penke.

Da Anfang des Jahres die altehrwürdige Rendsburger Schwebefähre mit einem Frachter auf dem Nord-Ostsee-Kanal kollidierte und mit einem großen Schaden bis auf weiteres ausfällt, wird die Mobilität der Rendsburger und der Bewohner der Nachbarorte auf eine harte Belastungsprobe gestellt, zumal auch der vorhandene Fußgängertunnel nicht für alle Alltagspendler eine Lösung darstellt. Daher demonstrierten neben dem UVM auch 400 genervte Bürger mit Gilgenast vorne weg. Sie fordern eine dauerhafte Ersatzfähre. Eine Reaktion aus dem Berliner Verkehrsministerium steht noch aus.

Werde Mitglied der nd.Genossenschaft!
Seit dem 1. Januar 2022 wird das »nd« als unabhängige linke Zeitung herausgeben, welche der Belegschaft und den Leser*innen gehört. Sei dabei und unterstütze als Genossenschaftsmitglied Medienvielfalt und sichtbare linke Positionen. Jetzt die Beitrittserklärung ausfüllen.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft

Linken, unabhängigen Journalismus stärken!

Mehr und mehr Menschen lesen digital und sehr gern kostenfrei. Wir stehen mit unserem freiwilligen Bezahlmodell dafür ein, dass uns auch diejenigen lesen können, deren Einkommen für ein Abonnement nicht ausreicht. Damit wir weiterhin Journalismus mit dem Anspruch machen können, marginalisierte Stimmen zu Wort kommen zu lassen, Themen zu recherchieren, die in den großen bürgerlichen Medien nicht vor- oder zu kurz kommen, und aktuelle Themen aus linker Perspektive zu beleuchten, brauchen wir eure Unterstützung.

Hilf mit bei einer solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl.

Unterstützen über:
  • PayPal