Lassen wir 1000 Kalorienbomben fliegen!

Was ist zum Tortenwurf auf Sarah Wagenknecht und bisherigen Reaktionen zu sagen?

  • Markus Mohr
  • Lesedauer: 8 Min.

Wer erinnert ihn nicht gern: Den Kommunisten Charlie Chaplin in seinen besten Filmen. Und die Szene, wo er seinen tyrannischen Boss, der ihn fortwährend piesackt, via Torte im Nu in eine Witzfigur verwandelt, haben schon Millionen gesehen. Die Chaplin-Torte in der Kapitalisten-Visage ist ein ganz wunderbarer Moment, der zweifellos einen anarchischen Akt zeigt, der gegen alle guten Sitten verstößt, der aber nur bei denen keine wiehernde Schadenfreude auslöst, deren humanes Empfinden schon lange zerstört ist. So geht nun mal die Herr-Knecht-Dialektik: «Es sagt der Herr zum Knecht: »Heut’ geht’s mir aber schlecht...« Da sagt der Knecht zum Herrn: »Das hört man aber gern!«

Das Werfen von Torten, Eiern, Tomaten, Farbbeuteln, aber auch von Schuhen ist schon immer ein unverzichtbarer Bestandteil im Aktionsrepertoire von linken Protestgruppen gegen die noch stets gewalttätig herrschenden Verhältnisse gewesen. Und es mögen auch zahlende Mitglieder der Linkspartei mit dabei gewesen sein, als im Dezember 2014 ganz im Geiste von Muntazer al-Zaidi mit völlig berechtigten Unmut zahlreiche Schuhe gegen das von dem Feldprediger Gauck behauste Bundespräsidialamt geschleudert wurden.

Diese Formen des gezielten politischen Angriffs können wahrlich so manches an lang anhaltenden Emotionen und auch Reflexionen auslösen. Sie hinterlassen aber mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit bei den davon Erwischten weder unmittelbar noch danach anhaltende körperliche Beschädigungen. Wer hier glaubt über »Gewalt« schwadronieren zu müssen, muss sich allerdings gefallen lassen zur Präzision ermahnt zu werden: Evident hier doch allemal, dass eine Torte für sich genommen niemals »Gewalt« sans phrase, sondern dann immer nur »Süße Gewalt« sein kann - was diese so beschriebene Form des Protestes mit einem gewissen Quäntchen an lukullischer Lust verknüpft und damit wiederum in einem nicht ganz ungünstigen Licht erscheinen lässt.

Menschenfeinde?

Nun ist die Vorsitzende der Bundestagsfraktion der LINKEN, Sahra Wagenknecht, während des Magdeburger Parteitages Opfer einer Tortenattacke geworden. Eine Gruppe ohne Namen reklamierte unter der Überschrift: »Torte für Menschenfeinde« in einem am gleichen Ort verteilten Flugzettel die Verantwortung dafür.

Anlass für den Angriff auf Wagenknecht war eine auf einer Pressekonferenz im Reichstag in Namen ihrer Fraktion getätigte Aussage, in der sie zu den völlig undurchsichtigen Verhältnissen auf der Kölner Domplatte während der Silvesternacht gegen Flüchtlinge gerichtet erklärte: »Wer Gastrecht missbraucht, hat Gastrecht verwirkt!«

Das ist eine mit profilierter Brutalität prolongierte Ansage der LINKEN-Fraktionsvorsitzenden, die ihr nicht gedankenlos aus dem Mund gerutscht ist: Ein Menschenrecht als beliebig disponible Handelsware auf dem Politikbasar im Zentrum der Berliner Republik! Das weiß mit dem gurgelnden Sadismus eines Teils der einheimischen Bevölkerung zu kalkulieren. Und der verschafft der Gedanke Erleichterung, dass es doch anderen Schwächeren bitte noch elender gehen möge, als ihnen selbst. Was für ein organisierter Zynismus der Selbstrepression, der aber, wenn er einmal so politisch fixiert ist, wie in dem »Gastrecht verwirkt!«-Statement, sich für die konstruktive Bewirtschaftung dieses Wählerreservoirs durch die Linkspartei fast von selbst anbietet. Ihre Aussage rüttelt vielleicht nicht »am Nerv der zweiten Republik«, wie es einmal Herbert Wehner in den Bundestag 1980 gegen die von Kapitalvertretern bekundeten Absichten zur Abschaffung der Mitbestimmung in der Montan-Mitbestimmung bellte. Sie rütteln aber am Nerv antirassistischer Organisierung aus den letzten Dekaden, und sind zudem auch eine Kampfansage am prinzipiellen Asylverständnis von Kirchengemeinden und Rechtsstaatlern vom Schlage eines Heribert Prantl.

Lächerlich?

Wie kann die Tortenwurfaktion auf Wagenknecht beurteilt werden? Legt man hier einige der theoretischen Maßstäbe aus dem exzellenten Handbuch der Kommunikationsguerilla an, so soll der Wurf einer Torte auf das Subjekt der Begierde dazu dienen, dieses der Lächerlichkeit preis zu geben. Die in einem langen Bildungsweg zu einer fulminanten Profi-Politikerin herangebildete Wagenknecht ist sicher vieles, eines aber definitiv nicht: Lächerlich. Eben auch das unterscheidet sie von einer Figur von Beatrix von Storch, einer zwar widerwärtigen - aber zu Ende gedacht - bloßen im Modergeruch der Korruption herum irrenden lächerlichen Knallcharge. Und von dem Brummkreisel der Extremismusdoktrin - im Sinne von »Die Linkspartei ist eigentlich so ähnlich wie AfD« - möge man bitte immer die Finger lassen, sie funktioniert nicht. Mehr noch: Wer allen Ernstes die Genossinnen Jelpke, König, Renner, Kipping, Köditz, Pau und viele andere mehr glaubt auf die rostig-bräunlich schimmernden AfD-Gleise schieben zu müssen, wird beizeiten einmal die Rückfrage am Hals haben, ob denn damit beabsichtigt ist, sich auf der Pay-Roll vom Verfassungsschutz einzuschreiben.

Insofern macht die Genossin Wagenknecht in ihrer Replik auf die Aktion den Punkt korrekt, dass es beleidigend ist, sie auf eine Stufe mit der Figur von Storch zu stellen. Auch sie gehört – wie übrigens die Tortenwerfer - zu der linken Bewegungsfamilie nach der Vereinigung der Deutschländer; und jeder weiß aus eigenen bitteren Familienerfahrungen, dass eben das schon immer bedeuten konnte, sich darin auch gegenseitig zum Kotzen zu finden. Und wenn man dem Irrglauben anheimfällt, dass es sich bei Wagenknecht um eine »Menschenfeindin« handeln soll, dann ist die Torte ein unangemessener Ausdruck des Protestes. Kurz: Der Tortenwurf auf Sahra Wagenknecht ist missglückt. Er bewegte sich politisch nicht auf der Höhe der auch mit der ganzen Linkspartei zu führenden politischen Konfrontation in der Frage von Flucht und Migration im Horizont von Egalität und Reichtumsumverteilung.

Ordnung schaffen?

Und nun? Steht wohlmöglich nun Exorzieren, Strafverfolgung, Ordnen und Säubern in der Linkspartei auf dem Programm, wie es leider auch von Jens Berger von den »Nachdenkseiten« mit der flockigen Formulierung von »die eigenen Reihen ein wenig aufräumen« insinuiert wird?

Er beruft sich dabei auch auf einen diesbezüglich außerordentlich gewieft geschriebenen Beitrag in der »Frankfurter Allgemeinen Zeitung« (FAZ), den man so lesen kann, dass in Sachen Tortenattacke auf die Genossin Wagenknecht nunmehr die Gruppe TOP B3RLIN ihr wenigstens in der Rosa-Luxemburg-Stiftung emsig wahrgenommenes Gastrecht missbraucht und damit dann wohl verwirkt haben soll. Nun: Die Aktivistinnen von TOP haben sich nach einer ersten im erschreckten Ganovensound aus dem Mund gerutschten Formulierung von »wir waren’s nicht!« mit einer ein paar politische Horizonte der komplexen Angelegenheit klug streifenden instruktiven Stellungnahme in der Öffentlichkeit zurückgemeldet.

Und überhaupt sollten alle unmittelbar an der Angelegenheit Beteiligten bedenken, dass – wenn die »FAZ« ihren LeserInnen die elegante Formulierung mit auf den Weg gibt: »Auch ohne Torten im Gesicht gibt es offensichtlich zwischen Parteistiftung und Antifa noch genug Berührungspunkte« – uns allen eben das niemals frei von einem unmissverständlichen Hintersinn mitgeteilt wird: Es handelt sich hier wirklich nur um eine andere Beschreibung dafür, dass die Aussichten, dass die Linkspartei ohne Antifa natürlich schneller von der politischen Bildfläche verschwindet, als eben mit, größer werden. Wer wüsste eben das nicht durch warmen Beifall besser zu würdigen als die kundige FAZ?

Diskutieren!

Nun gilt es die auf Parteitag untergegangene Debatte über einige der beunruhigenden Ansichten Wagenknechts zum Thema allerorten weiter zu führen. Kann es denn etwas leichteres geben als eben das: Einfach immer weiter diskutieren? Natürlich nicht. Und das kann man auch mit nüchternen Analysen, aber ruhig auch mit Gebrüll und Geschrei tun, wenn es denn sein muss. Die Widersprüche liegen doch offen zutage. Dabei findet eine solche Debatte natürlich in den diversen politischen Kampfarenen und gerade nicht im gepflegten Universitätsseminar statt. Allemal ist es dabei ein Missverständnis, wenn Alban Berg hier mutmaßt, das die Tortenattacke auf eine »Verrohung linker Kreise« deutet; ein allerorten immer wieder zu beobachtendes intellektuelles Elend, das sich sowohl in diesbezüglichen Stellungnahmen von Wagenknecht, aber auch in einigen Begründungselementen der Tortenwerfer spiegelt, ist hier ein wichtiger Punkt, der immer wieder mit fokussiert muss.

Und mit welchen weiteren Zielen soll diskutiert werden? Auch das ist leicht zu formulieren: Die Diskussion soll im Ergebnis die Bedingungen für Millionen von Flüchtlingen, Migranten, Hartz-IV-BezieherInnen und noch vielen anderen subaltern Gemachten verbessern, hier endlich mehr als 1000 Kalorienbomben gegen die Düsternis und Brutalität der gegenwärtigen politischen Verhältnisse fliegen zu lassen. Hier können wir alle noch viel vom Kampfgeist eines Charlie Chaplin lernen.

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