Wenn ein Superstar zur Last wird

Zlatan Ibrahimovic hemmt die Entwicklung der Schweden als Mannschaft

»Wir können Europameister werden«, hatte Zlatan Ibrahimovic angekündigt. Gegen Irland reichte es für Schweden aber nur zu einem Punkt. Der Grund dafür ist im schwedischen Duden zu finden.

Von Alexander Ludewig, Paris

Spätestens um 19:27 Uhr war der Gedanke gestorben, vielleicht doch nicht über Zlatan Ibrahimovic zu schreiben. Zu diesem Zeitpunkt war der 1,94-Meter-Hüne am Montagabend auf dem Rasen des Stade de France mal nicht zu sehen - ausnahmsweise. Neun andere schwedische Fußballer hatten eine Jubeltraube um ihren Kapitän gebildet. Dabei hatte Ibrahimovic nicht mal einen Treffer erzielt. Nach seiner scharfen Hereingabe bugsierte der Ire Ciaran Clark den Ball ins eigene Tor, die Schweden hatten gar keinen Torschützen, den sie mit ausufernder Dankbarkeit überhäufen hätten können. Also feierten sie Ibrahimovic.

Der Treffer war wichtig. Er rettete Schwedens Mannschaft mit dem 1:1 gegen Irland zum EM-Auftakt in der äußerst schweren Gruppe E einen Punkt. Am wichtigsten aber ist Zlatan Ibrahimovic. Und das sieht nicht nur der 34-Jährige so, der sich selbst wahlweise als Legende, König oder auch Gott bezeichnet. »Er ist größer als der Fußball selbst«, sagt sein Mitspieler Kim Källström über ihn. Und so wird es Ibrahimovic auch niemand in der Mannschaft übel nehmen, dass er nach dem Spiel sagte: »Uns fehlt die Qualität.«

Für das Gefüge einer Gruppe, die nur gemeinsam Erfolg haben kann, ist solch eine Konstellation eigentlich nicht förderlich. Nicht, dass Ibrahimovic kein Teamplayer sein kann. In den vergangenen vier Jahren lief er 182 Mal für Paris St. Germain auf und erzielte nicht nur sagenhafte 156 Tore, sondern lieferte auch mehr als 60 Torvorlagen. Für Schweden hat er in 113 Länderspielen schon 62 mal getroffen, darunter waren viele entscheidende und wichtige Tore. Und im Spiel gegen die Iren war er sich auch für so manchen Meter in der Defensivarbeit nicht zu schade. Zwei Mal klärte Ibrahimovic gar in höchster Not im eigenen Fünfmeterraum.

Wie schwierig seine Ausnahmestellung für die schwedische Mannschaft ist, verdeutlicht eine andere Szene. Nach einem schlechten Pass in der 62. Minute entschuldigte sich John Guidetti gestenreich so lang bei Ibrahimovic, bis dieser ihm mit einer einzigen, großzügigen Geste vergeben hatte. Doch der Kapitän brachte auch seinen Unmut über Unzulänglichkeiten seiner Mitspieler am Montagabend auf dem Platz mehrmals offen zum Ausdruck. Den Schutz des Trainers genießt er trotzdem vollumfänglich. Erik Hamrén hatte selbst viel zu kritisieren an seiner Mannschaft. Auf die Ungefährlichkeit seines Torjägers angesprochen, sagte er aber nur: »Als Stürmer brauchst du Unterstützung.«

An einem Nationalhelden rüttelt man eben nicht. Seit 2007 ist Ibrahimovic in Schweden jedes Jahr zum Fußballer des Jahres gewählt worden, das gab es noch nie - in keinem Land der Welt. In Italien wurde er es zudem drei Mal. Unzählige Titel hat er mit seinen Klubs gewonnen. Seine 2011 veröffentlichte Autobiografie ist mit mehr als 700 000 verkauften Exemplaren ein Bestseller in Schweden. Es gibt Lieder über ihn und im schwedischen Duden findet sich seit Ende 2012 das Wort »att zlatanera«, was für stark dominieren steht. Am Montagabend war das gelbe Trikot mit der Nummer 10 das meist getragene auf den Tribünen des Stade de France. In der 21. Minute erhoben sich die schwedischen Fans von ihren Plätzen, nur weil Zlatan Ibrahimovic zur Ausführung eines Freistoßes bereitstand.

Der Kapitän mag recht haben: Dem schwedischen Team fehlt es an Qualität. Aber die große Stärke individuell schlecht besetzter Mannschaften ist die Geschlossenheit, der gemeinsame Kampf, der Teamgeist. Die Iren haben all das gezeigt und besser gespielt, sind verdient in Führung gegangen und hätten das Spiel auch aufgrund ihrer vielen Chancen gewinnen müssen.

Bei den Schweden heißt es aber etwas überspitzt formuliert: Alle für Einen. Zlatan Ibrahimovic sagt ja auch: »Ich bin Schweden.« Keine Frage, der Stürmer kann mit seiner oft spektakulären Spielweise Partien allein entscheiden. Ob das allerdings gegen die nächsten Gruppengegner Italien und Belgien reichen wird, ist fraglich. Wenn nicht, endet die Nationalmannschaftskarriere von Zlatan Ibrahimovic mit dem Vorrundenaus. Dazu sagt Kim Källström: »Es hat eine Ära vor Zlatan gegeben, und es wird eine Ära nach Zlatan geben.« Im Ende liegt für Schweden auch die Chance des Neuanfangs - als Mannschaft.

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