Der Tod hinterm Vorhang

Im Kino: »The Assassin« von Hou Hsiao-hsien

  • Caroline M. Buck
  • Lesedauer: 3 Min.

Der Killer im Titel dieses Films ist weiblich. Und obwohl »The Assassin« ein Wuxia ist, ein klassisch chinesischer Schwertkämpfer-Historienfilm, wird darin viel weniger in ausgetüftelten Kampf-Choreographien »geflogen« als tatsächlich: gemordet. Leise, schnell, zielgerichtet, mit raschem Hieb und Stich. Was sich aber zwischen den Morden abspielt, ist eher ein Gedicht der schönen Bilder, tiefen Blicken, emotionalen Verstrickungen und vage definierter politischer Strippenzieherei als ein Hau-und-Stech-Abenteuer mit reißerisch inszenierten Kampfszenen.

Geredet (und geschrieben) wird natürlich auch, schon weil die komplizierte politische Hintergrundlage einiger Klärung bedarf. Aber das Wort ist selten das herausragende Element im Werk des Taiwanesen Hou Hsiao-hsien, der bei dieser pan-chinesischen Koproduktion dem traditionsreichen Genre neue Bilder abgewinnt. Zeit und Ort der Handlung: der Palast des Fürsten einer nördlichen Provinz, die der chinesischen Zentralmacht abhanden zu kommen droht. Es ist das späte 9. Jahrhundert, die Ägide der Tang-Dynastie nähert sich ihrem Ende, zentrifugale Kräfte und militärische Rivalitäten zersetzen den Zusammenhalt des Reiches.

Die titelgebende Killerin, von Kindesbeinen an zu ihrem blutigen Handwerk erzogen von einer taostischen Mönchin - Nonne möchte man die eiskalte Machtpolitikerin Jiaxin (Sheu Fang-yi) eigentlich kaum nennen -, wird von dieser auf mörderische Mission an den Ort ihrer Kindheit zurückschickt. Dort soll sie ihren Cousin töten, der einst auch ihr Verlobter war. Im Original trägt der Film den Namen der Heldin: Nie Yinniang, der auch der Titel der kurzen Vorlage aus Tang-Zeiten ist, auf der der Film (sehr frei) beruht.

In einer brillant choreographierten schwarz-weißen Vorspann-Sequenz im klassischen Bildformat alten Hollywood-Kinos erzürnt Nie Yinninang ihre Mentorin, indem sie Gnade beweist, wo keine Gnade sein sollte: den einen Mann holt sie gekonnt vom Pferd, aber vor seinem kleinen Sohn kann sie den anderen Mann nicht töten, auf den sie angesetzt war. Der nächste, filmfüllende und diesmal bewusst persönliche Auftrag ist ein Test und eine Strafe, er läuft dem inneren Wesen der Auftragsmörderin zuwider, und eben dieses innere Wesen ist ihrer Auftraggeberin ein Dorn im Auge.

Shu Qi, die Nie Yinniang spielt, bringt die Glutaugen mit, die im Kampf eher hinderlichen langen Haare, die weibliche Figur einer Frau, die nie nur Kämpferin sein will, so sehr sie dazu auch erzogen wurde. Ihr designiertes Opfer, Lord Tian (Chang Chen), längst anderweitig verheiratet (und anderweitig liiert zugleich auch), ist ihr nicht gleichgültig - und sie ihm auch nicht.

Die Birkenwälder und Seen, die er an seinen festlandschinesischen Drehorten vorfand, hätten ihn bezaubert, schwärmt Hou Hsou-hsien von der Landschaft seines Films. Die Innenräume, die in Taiwan gedreht wurden, verbinden sich im Film und vor der Kamera von Mark Lee Ping Bin nahtlos mit diesen Außenszenen zu einer Welt aus Hell und Dunkel, guten und bösen Impulsen aus Mord und Intrige, Liebe und Lust. Die Gewänder, die Stille zwischen den Morden, die undurchdringlichen Sitten und Gebräuche, die stets nur halbwegs offenbar werdenden Beweggründe aller handelnden Personen, die Intrigen, der Tod: für einen Wuxia entfaltet »The Assassin« sich bei aller theoretischen Fülle dramatischer Vorfälle höchst ungewöhnlich langsam, getragen, beinahe ätherisch.

Alle haben sie sich an diesem Genre versucht: Die auch nicht mehr ganz jungen Großmeister der vorletzten neuen Wellen Chinas, von Zhang Yimou (»Hero«, »House of Flying Daggers«) über den Autoren-Überfilmer Wong Kar-Wai (»Der Großmeister«) bis zu Ang Lee (»Crouching Tiger, Hidden Dragon«). Der Wuxia von Hou ist mit Abstand der mysteriöseste und ruhigste von allen - und damit wahrscheinlich unter allen der Film, der einen am längsten beschäftigen wird.

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