Neue Proteste gegen TTIP, CETA und die EU-Demokratiekrise

Bündnis plant für September Demonstrationen in sieben Städten / Juncker will Ratifizierung in nationalen Parlamenten verhindern

  • Haidy Damm und Elsa Koester
  • Lesedauer: 3 Min.

Jean-Claude Juncker besteht darauf: Das Freihandelsabkommen zwischen der EU und Kanada (CETA) ist ein »EU-only-Abkommen«. Das erklärte der Kommissionschef während des EU-Gipfels in Brüssel. Damit würde neben dem Rat nur das EU-Parlament über CETA abstimmen, das als Blaupause für das ins Stocken geratene TTIP-Abkommen mit den USA gilt.

Bei einem »gemischten Abkommen« dagegen müssten alle nationalen Parlamente gefragt werden, in Deutschland neben dem Bundestag auch der Bundesrat. Man solle ihm die juristischen Grundlagen dafür vorlegen, dass das Abkommen ein gemischtes ist, erklärte Juncker auf einer Pressekonferenz in Brüssel. Er könne das in den geltenden Regeln nicht erkennen. Die Kommission befürchtet, dass weitere Abstimmungen den Abschluss verlängern oder ganz verhindern könnten.

Juristische Gutachten, die Junckers Interpretation widerlegen, gibt es jedoch. Ein Rechtsgutachten der Universität Bielefeld hatte im Auftrag des Bundeswirtschaftsministeriums bereits im August 2014 festgestellt, dass CETA »im Ergebnis als gemischtes Abkommen« abzuschließen sei.
Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) beeilte sich, in Brüssel zu betonen, sie werde in jedem Fall die Meinung des Bundestages einholen. Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD) kritisierte Juncker offen. Das Vorgehen der Kommission sei »unglaublich töricht« und verderbe jedes sachliche Klima. Gabriel hat sich bisher für das Abkommen ausgesprochen und hofft auf die Zustimmung seiner Parteigenossen.

Die aber scheinen nicht begeistert. Der SPD-Bundestagsabgeordnete Matthias Miersch kritisierte mit Blick auf Merkels Äußerung: »Die Kanzlerin weiß, dass es sowas wie ein Meinungsbild des Bundestages rechtlich nicht gibt. CETA ist ein gemischtes Abkommen – wenn der Bundestag entscheidet, hat sich die Regierung daran zu halten.« Sein Parteikollege Marco Bülow wurde noch deutlicher: »Immer mehr Menschen haben genug von diesem undemokratischen Gebaren. Genau das verstärkt den Zulauf der Rechtspopulisten.«

In diese Richtung empörten sich auch CETA-Kritiker. Der Vorsitzende der Industriegewerkschaft BAU, Robert Feiger, sprach von einem »Demokratiedefizit in Brüssel«. Der stellvertretende Vorsitzende der LINKEN, Klaus Ernst, beklagte, mit diesem »Machtgehabe« gefährde die Kommission die EU und nütze nur ihren Gegnern. Die Grünen-Vorsitzende Simone Peter kritisierte, dieses Vorgehen befeuere »EU-Skepsis und Politikverdrossenheit«.

Juncker selbst gibt sich sicher. Er habe den Gipfel genutzt, um mit allen zu sprechen, sagte er in Brüssel. Keiner habe geäußert, gegen das Abkommen zu sein.

Neue Massenproteste gegen CETA und TTIP geplant

Dagegen ruft das Bündnis »CETA&TTIP stoppen! Für einen gerechten Welthandel!« für den 17. September erneut zu bundesweiten Demonstrationen auf. In sieben Städten soll es Proteste geben, insgesamt hofft das Bündnis auf über 100.000 Teilnehmer. Mit dem Protest soll vor dem EU-Gipfel am 22. und 23. September im slowakischen Bratislava eine breite Ablehnung des Abkommens sichtbar gemacht werden.

»Der Brexit muss als Warnschuss ernst genommen werden: Die EU hat ein großes Demokratiedefizit und genießt kein Vertrauen in der Bevölkerung«, sagte Bündnissprecher Christian Weßling dem »nd«. »Die im Geheimen verhandelten Freihandelsabkommen befördern die EU-Verdrossenheit weiter, insbesondere, wenn CETA an dem Parlamenten vorbei verhandelt werden soll.« Das Bündnis fordert einen Stopp der Verhandlungen über TTIP und der Ratifizierung von CETA.

Die geplanten Demonstrationen finden in Berlin, Frankfurt, Hamburg, Köln, Leipzig, München und Stuttgart statt. Mit den Protesten wollen die insgesamt 26 Organisationen verhindern, dass einzelne Interessengruppen »das Ungleichgewicht zwischen Gemeinwohl- und Wirtschaftsinteressen« vertraglich fixieren: »Mit den Abkommen würden Umwelt- und Verbraucherschutzbestimmungen unterhöhlt. Das ist ein tiefer Eingriff in den Alltag der Menschen, der Wert des Freihandels wird über alles andere gestellt«, kritisiert Weßling. Der Protest gegen die Freihandelsabkommen sei bislang sehr breit gewesen. »Unter den Demonstranten war auch ein Großteil der klassischen SPD-Klientel. Es wird sich zeigen, ob sich die Partei – und auch die anderen Parteien – von einem so stark geäußerten demokratischen Wunsch beeindruckt zeigen.«

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