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Ein Gesetz hat Geburtstag

Vor 40 Jahren wurde das Mitbestimmungsgesetz verabschiedet. Nicht alle waren zufrieden

  • Jörg Meyer
  • Lesedauer: 3 Min.
Mitbestimmung muss weiterentwickelt werden, denn auch die Arbeitswelt entwickelt sich weiter. Doch sie steht eher unter Druck.

An diesem Freitag jährt sich das Inkrafttreten des Mitbestimmungsgesetzes zum 40. Mal. Seit dem 1. Juli 1976 besetzen in Unternehmen mit mehr als 2000 Beschäftigten diese die Hälfte der Sitze im Aufsichtsrat. Den Geburtstag beging der Der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) am Donnerstag in Berlin. Erwartet wurden neben Bundespräsident Joachim Gauck und DGB-Chef Jörg Hoffmann der Präsident der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA), Ingo Kramer.

»Dass wir in Deutschland gelernt haben, wirtschaftliche Freiheit mit Teilhabe, mit dem Streben nach Gerechtigkeit und gesellschaftlicher Solidarität zu verknüpfen, dazu haben die Gewerkschaften Wesentliches beigetragen«, sagte der Bundespräsident vor den Gästen im Deutschen Historischen Museum. Das Mitbestimmungsgesetz von 1976 »gehört zu den Kernelementen unserer Kooperations- und Konsenskultur«. Dabei seien aber »der Abschied vom Klassenkampf und der Weg zur Kooperations- und Konsenskultur - für beide Seiten (...) ein schwieriger Selbstfindungsprozess«, so Gauck weiter.

Mit Blick auf die sich wandelnde Arbeitswelt ermunterte Gauck: »Beteiligen Sie sich an den Erkundungen für eine zukunftsträchtige Arbeitnehmerbeteiligung!« Eine Anregung, die DGB-Chef Reiner Hoffmann gerne aufnahm: Die Mitbestimmung »ist nachweislich ein Erfolgsfaktor für eine nachhaltige Unternehmenspolitik. Wo Arbeitnehmer mitbestimmen, wird mehr investiert.« Doch statt ein »Instrument mit so vielen Vorteilen« mehr zu schätzen und zu pflegen, ist die Mitbestimmung, ob im Aufsichtsrat oder im Betriebsrat, immer wieder Angriffen ausgesetzt.

Bereits 2015 hatte der DGB-Chef eine neue Mitbestimmungsinitiative angekündigt. »Einen Betriebsrat zu gründen ist längst ein Hochrisikoprojekt geworden - ganze Anwaltskanzleien haben ein lukratives Geschäftsmodell aus der Bekämpfung von Betriebswahlen gemacht«, sagte Hoffmann. Der DGB fordert deshalb, dass Schlupflöcher, mit denen die Mitbestimmung umgangen werden kann, geschlossen werden. Dazu gehört besonders die Umwandlung von Unternehmen in Europäische Aktiengesellschaften (SE), kurz bevor sie die Schwellenwerte des deutschen Mitbestimmungsgesetzes erreichen. Der DGB fordert unter anderem eine EU-Richtlinie, die festlegt, dass es auch in SE mit über 1000 Beschäftigten Aufsichts- oder Verwaltungsräte gibt.

Das Mitbestimmungsgesetz stellte aus Sicht der Gewerkschaften einen Minimalkompromiss dar. Besonders die IG Metall wollte nichts verabschieden, was hinter die Montanmitbestimmung von 1951 zurückfiel. Damals war es nach Streikdrohungen von IG Metall und IG Bergbau gelungen, für Bergbauunternehmen und der eisen- und stahlerzeugende Industrie, die paritätische Mitbestimmung zu verankern. Dieses Modell auf alle Bereiche der Wirtschaft auszuweiten, ist seitdem unerreichtes Ziel der Gewerkschaften. Das Gesetz von 1976 sieht zwar die Parität von Kapital und Arbeit im Aufsichtsrat vor, aber: Der Vorsitzende des Gremiums wird von den Anteilseignern bestimmt und hat im Falle eines Abstimmungspatts eine doppelte Stimme. Letztlich bedeutet dies, dass es den Gewerkschaften kaum gelingt, sich gegen das Kapital durchzusetzen, weil sie dafür Abweichler der Gegenseite brauchen.

Der damalige DGB-Vorsitzende Heinz-Oskar Vetter, der Zeit seines Lebens für die Mitbestimmung kämpfte, antwortete auf die Frage, was er für die größte Enttäuschung seiner Amtszeit halte: »Das Mitbestimmungsgesetz 1976«, schrieb Hans Otto Hemmer für die Zeitschrift »Mitbestimmung« der Hans-Böckler-Stiftung. Hemmer gehörte zum Beraterkreis von Vetter. Das Gesetz rage aber angesichts der nach 1976 »lang anhaltenden Phase mit nur wenigen Chancen für die Gewerkschaften, politische Ziele durchzusetzen oder auch nur auf die Agenda zu bringen« hervor.

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