Thriller und Schwank

Alfred Müller wäre 90

  • Hans-Dieter Schütt
  • Lesedauer: 2 Min.

Er war ein Boulevardier mit Trauerrand. Melancholiker im Sound des Schnodders. In tragischen Rollen (die ihn leider nicht häufig aufsuchten) hatte er ein charmant bonvivanthaftes, bei komischen Gestalten ein schwermütig belegtes Gesicht. Die Erregungen eines Bürgers versöhnte er mit der praktischen Vernunft eines Schlawiners.

Alfred Müller. Ein einziger DEFA-Film hat ihn nach dem Mauerbau zum Zuschauer-Millionär gemacht: »For Eyes Only - Streng geheim«, Regie: János Veiczi. Gefahrvolle Odyssee eines sozialistischen Kundschafters durch westdeutsches Aufmarschgebiet für US-Kriegspläne. Die Sympathie des besonnenen Friedensretters ergriff und berührte (wie Schnippchenschläger immer sympathischer sind als Schnäppchenjäger). Der Film »Gefrorene Blitze« versuchte, ein Markenzeichen zu formen. Müller war letzten Endes klug und Künstler genug, sich frei zu machen. Für facettenreicheres Ereignis-Spiel: »Das Kaninchen bin ich«, »Das siebente Jahr«, »Mohr und die Raben von London«.

Der 1926 in der Berliner Müllerstraße (!) Geborene verfügte über frisch bleibende Geradlinigkeit, seine Ausstrahlung bewegte sich zwischen Heldenkraft und Freundesgüte, er spielte glaubhaft Königsebene und Kumpelkreis. Mit dem Schriftsteller Armin Stolper betrieb er tourneebegeistert ein witzig-hintergründiges wie deftiges literarisches Dialog-Theater - das war Trotz-Tänzelei vor allem nach dem Ende der DDR, da der Schauspieler vorwiegend in leichterer, seichter TV-Seriengegend sein Handwerk durchzuhalten wusste, durchhalten musste. Mal sanft wie einer aus der guten alten Zeit, mal knorrig wegen der unguten neuen Zeiten. Großvater Alfred eben.

Auftritte in Dessau (»Hauptmann von Köpenick«) und am Ku’damm ließen Erinnerung aufglühen - an mehrere Jahrzehnte Spiel am Berliner Maxim Gorki Theater, an die gauklerischen Ausflüge in den Fernsehschwank, mit Helga Hahnemann im »Kessel Buntes«. Müller ging pfiffig, vielseitig, nuancenreich durch Schubladenwände, als gäbe es diese typisch deutsche Einsperrpraxis nicht. Heute wäre der Schauspieler, der 2010 starb, 90 Jahre alt.

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