Da, wo keiner hinkommt

Friedensbewegung diskutiert in Warschau Grundsatzfragen

  • Leo Gabriel, Warschau
  • Lesedauer: 3 Min.

Das Kräfteverhältnis entsprach dem einer Maus gegen einen Elefanten. Dennoch gelang es rund 130 Aktivisten aus 18 Ländern, ein historisches Zeichen für einen Neustart der internationalen Friedensbewegung zu setzten. Zusammengekommen waren die Kriegsgegner am vergangenen Wochenende in Warschau unter dem Motto »Nein zum Krieg - nein zur NATO« - ein »Gegengipfel« zum Treffen der NATO-Staaten.

Dabei stand in den Diskussionen weniger die Planung zukünftiger Aktionen im Vordergrund, als die grundsätzliche Debatte, welche Rolle dem Militärbündnis in Konfliktherden zukomme. Die übereinstimmende Auffassung der TeilnehmerInnen: Die NATO agiert als Kriegstreiber und nutzt die von ihr teilweise selbst inszenierten Konflikte, um ihre politische Rolle gegenüber nationalen Regierungen und regionalen Bündnissen zu stärken.

Während des Gipfels zogen die FriedensaktivistInnen - ausgerüstet mit Baguettes - durch die polnische Hauptstadt. Ihre essbaren Waffen richteten sie gegen die omnipräsenten Sicherheitskräfte, oder als Stinkefinger gegen die US-amerikanische Botschaft. Der Slogan »We want bread and no tanks!« (Wir wollen Brot und keine Panzer!) stand schon 2003 auf den Transparenten, als die polnische Friedensbewegung gegen den Irakkrieg mobilisierte.

Zum zentralen Thema in den Debatten wurde das symbiotische Verhältnis zwischen der NATO und der EU. Die enge Zusammenarbeit zwischen FRONTEX und NATO im mediterranen Raum, wurde ebenso heftig kritisiert wie der Aufmarsch der NATO im baltischen Raum, der unter dem bezeichnenden Namen »Operation Anaconda« offensichtlich das Ziel verfolgt, den Gürtel um Russland enger zu schnallen. In einer Presseerklärung formulierten die FriedensaktivistInnen ihre zentrale Forderung: Die NATO solle aufgelöst und durch ein Kooperatives Sicherheitssystem ersetzt werden.

Die Diskussionen über den Konfliktherd Ukraine fielen auch unter den TeilnehmerInnen des Gegengipfels kontroverser aus. Nachdem es aufgrund der Visa-Situation unmöglich war, namhafte VertreterInnen aus der Westukraine (geschweige denn aus dem Donbass) einzuladen, präsentierte der russische Sozialwissenschaftler Igor Gottlieb eine Stellungnahme von friedensbewegten ukrainischen Intellektuellen. Darin fordern diese, einen »Dialog auf allen Ebenen« zwischen den Konfliktparteien voranzutreiben, um der Kampagne der Rechtsextremen gegen das Minsker Abkommen entgegenzuwirken.

»Wir müssen als Friedensbewegung gerade dorthin gehen, wo sonst keiner hinkommt«, erklärte der Mitveranstalter des Gegengipfels Reiner Braun. Er wies auch darauf hin, dass die internen Diskussionen in der europäischen Friedensbewegung noch nicht ausgestanden seien: »So ist etwa die Forderung nach Äquidistanz zu Washington und Moskau angesichts der weltweiten Expansion der NATO und des militärischen Ungleichgewichts nicht nachvollziehbar. Aber auch die Frage nach dem Austritt aus der EU wegen ihres militaristischen Charakters und ihrer Allianz mit der NATO muss neu diskutiert werden.«

Wie das geforderte Kooperative Sicherheitssystem, das die NATO ersetzen soll, im Detail aussehen könnte, blieb allerdings offen. Wichtig erschien allen TeilnehmerInnen, den durch die NATO geworfenen Fehdehandschuh, nicht unbeantwortet zu lassen, die Lügen in ihrer Geschichte aufzuzeigen und auf der Grundlage der Analysen des Gegengipfels in konkrete politische Aktionen überzugehen.

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