Nicht alles kommt vom Himmel
Start-up-Szene profitiert vom Zuzug aus dem Ausland
Der Wirtschaftssenatorin Cornelia Yzer (CDU) ist eins wichtig: Man solle bei Infrastruktur nicht nur an Beton denken, sondern auch an die Digitalisierung, sagte sie am Mittwoch beim renommierten Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW), das eine umfassende Studie über die Wirtschaft der Hauptstadt vorstellte. Denn »Reindustrialisierung durch Digitalisierung« ist Yzers Motto, unter dem sie der Wirtschaft der Hauptstadt zu neuen Glanzzeiten verhelfen will. Man könnte Yzers Bitte, nicht nur an Beton zu denken, jedoch auch so interpretieren, dass man nicht zu sehr an die Vergangenheit rühren solle.
Denn denkt man an Infrastruktur und Beton, dann können einem in Berlin eigentlich nur drei Buchstaben einfallen: BER. Der Hauptstadtflughafen, der nun vielleicht Anfang November 2017 eröffnet wird, nachdem ganz ursprünglich von Oktober 2007 die Rede gewesen war, steht nämlich sinnbildlich für die Verfehlungen der Infrastruktur - und damit auch der Berliner Wirtschaftspolitik.
Dabei ist Berlin trotz oder gerade wegen seiner Wirtschaftspolitik unlängst aus »seinem Dornröschenschlaf erwacht«, wie DIW-Präsident Marcel Fratzscher meint. »Es könnten goldene Jahrzehnte vor Berlin liegen.« So wuchs die Wirtschaftsleistung der Hauptstadt mit einer Rate von 3 Prozent vergangenes Jahr fast doppelt so schnell wie im Rest der Bundesrepublik, seit 2005 wurden 290 000 neue Jobs geschaffen, die Arbeitslosenquote halbierte sich fast von 19 auf knapp zehn Prozent. Und es fließt mittlerweile mehr Risikokapital nach Berlin als nach London. Denn Berlin ist Start-up-Hauptstadt. In den vergangenen fünf Jahren wurden hier jedes Jahr zwischen 37 000 und 42 000 Betriebe gegründet.
Da muss auch der Regierende Bürgermeister Michael Müller (SPD) eingestehen, dass manches »Glück« gewesen sei - auch wenn nicht alles einfach vom Himmel fiel. Der Technologiepark Adlershof etwa ist für Müller eine solcher richtigen Entscheidungen. Damit die Stadt weiter boomt, will er genügend Flächen für Industrie und Gewerbe sichern. Dabei komme dem Gelände des Flughafens Tegel nach dessen Schließung große Bedeutung zu, so Müller, der also schon mal an die Zeit nach der Eröffnung des BER denkt.
Für die Forscher des DIW ist für den Gründerboom der letzten Zeit vor allem der Zuzug aus dem Ausland verantwortlich. »Mittlerweile wird fast jedes zweite Unternehmen von ausländischen MitbürgerInnen gegründet«, schreiben sie in ihrer Studie, während die Gründungsneigung der Einwohner mit deutscher Staatsangehörigkeit ähnlich niedrig sei wie im übrigen Bundesgebiet. Und auch in Sachen Personal greift die Gründerszene in der Hauptstadt gerne auf Ressourcen jenseits der Grenzen zurück. »Derzeit kommen über 40 Prozent aller Angestellten in den Start-ups aus dem Ausland, überwiegend aus der EU«, stellt das DIW fest. Für diese Angestellten gelte Berlin mit seiner noch günstigen Mieten und der hohen Lebensqualität trotz relativ niedriger Löhne als attraktiv.
Für Wirtschaftsexpertin Fratzscher ist es indes noch zu früh für Euphorie. Denn auch wenn Berlins Wirtschaft derzeit schneller als die der restlichen Bundesrepublik wächst, erlebt die Hauptstadt lediglich einen Aufholprozess. Eine Halbierung der Arbeitslosigkeit auf knapp zehn Prozent ist eben doch keine so große Erfolgsstory, wenn die gesamtdeutsche Arbeitslosenquote bei rund sechs Prozent liegt. Vor allem verweist Fratzscher auf ein weiteres Makel: »Berlin ist in Europa die einzige Hauptstadt, deren Produktivität und Pro-Kopf-Einkommen unter dem Landesdurchschnitt liegt.« So ist die Wirtschaftsleistung eines Erwerbstätigen in Berlin etwa fünf Prozent niedriger als im Bundesdurchschnitt.
Für den DIW-Arbeitsmarktexperten Karl Brenke liegt das daran, dass Berlin offenbar doch nicht so innovativ ist, wie stets angenommen. »Diese Innovationsschwäche verhindert, dass Berlin bei der Wirtschaftskraft und bei den Erwerbseinkommen einen Platz einnimmt, der einer Hauptstadt angemessen wäre«, so Brenke. In Berlin verdient man immer noch über vier Prozent weniger als im Rest der Bundesrepublik.
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