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»Ist doch ein Kompliment, wenn ich ihr hinterherpfeife!«

Tatsächlich? Argumente gegen gängige Mythen und abwehrende Behauptungen - Teil II

  • Anna Schiff
  • Lesedauer: 4 Min.

»Das ist doch kein Sexismus, das ist doch ein Kompliment …« Wer Sexismus zum Thema macht, hört nicht selten solche Sätze. Eine nd-Serie in Kooperation mit der Rosa-Luxemburg-Stiftung will den Blick dafür schärfen, dass Sexismus ein strukturelles Problem unserer Gesellschaft ist. Wer Sexismus thematisiert, stellt immer auch die Frage nach der Macht, nach ihrer ungleichen Verteilung und nach den Strategien, mit denen diese Verhältnis­se aufrechterhalten werden. Es geht um Argumente gegen gängige Mythen und abwehrende Behauptungen, mit denen Kritik an Sexismus zum Schweigen gebracht werden soll.

»Ach, das war doch ein Kompliment. Das ist doch was anderes, als wenn jemand tatsächlich übergriffig wird.«
Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, Justizministerin, 31. Januar 2013

Was ist dran?

Es stimmt, es gibt keine 100-prozentig eindeutigen Regeln, was ein Kompliment ist und was nicht. Wer was als Kompliment versteht, ist bis zu einem gewissen Grad tatsächlich subjektiv. Und das gilt selbstredend nicht nur für Frauen, sondern für alle Menschen und selbstverständlich nicht nur in heterosexuellen Konstellationen – auch das kann nicht oft genug betont werden.

Diese Subjektivität gilt es auch zu bewahren. Jede_r sollte die Deutungshoheit darüber haben, was für sie oder ihn ein Kompliment ist und was nicht. Und das heißt eben auch: Selbst wenn eine Bemerkung als Kompliment gemeint war, kann sie anders ankommen. Ein Kompliment ist letztlich nichts anderes als eine Art Angebot, und Angebote können angenommen oder abgelehnt werden, ohne dass es dafür eine Rechtfertigung braucht.

Es gibt jedoch Kriterien, anhand derer Situationen unterschieden werden können. Zum einen macht es einen entscheidenden Unterschied, was gesagt wird. Komplimente wie »Sie sind aber wortgewandt – das finde ich toll« oder »Du hast aber eine sympathische Ausstrahlung« sind ziemlich unverfänglich. »Sie können ein Dirndl gut ausfüllen«, Hinterherpfeifen oder »Geiler Arsch« auf der Straße hinterherzurufen hingegen nicht.

Im englischsprachigen Raum gibt es dafür das Wort »cat calling«. Mittlerweile wird es auch in Deutschland, vor allem im Netz, verwendet. Nun kann man argumentieren, dass es sich bei solchen Sprüchen um bedauerliche Ausnahmen von plumpen Zeitgenossen handelt. Aber dafür sind sie zu oft die Regel – das zeigt sich, wenn man anfängt, aufmerksam durch den Alltag zu gehen oder die vielen Berichte von Frauen auf Online-Plattformen wie alltagssexismus.de zu lesen. Sexismus ist in diesem Fall die Summe aller plumpen Anmachen einerseits und das Selbstverständnis, das zu dürfen, andererseits.

Zum anderen macht es einen Unterschied, in welcher Situation beziehungsweise in welchem Kontext etwas gesagt wird. Natürlich dürfen sich Menschen auch nette Sachen über ihr Äußeres sagen. Aber gerade wenn das Äußere angesprochen wird, spielt der Kontext eine Rolle: Stellen wir uns vor, Person A sagt zu Person B, sie sehe heute besonders gut aus. Das klingt unverfänglich und nach einem netten Kompliment. Aber welche Botschaften schwingen mit, wenn B für A arbeitet oder B von A unterrichtet wird – die beiden also in einem Abhängigkeitsverhältnis zueinander stehen?

Oder wenn A und B sich auf dieselbe Stelle bewerben, bei der vor allem die fachliche Kompetenz gefragt ist, beide also in Konkurrenz zueinander stehen? B wird damit als attraktive Person angesprochen, der Fokus wird auf Äußerlichkeiten verschoben, weg von beruflichen Fähigkeiten. Genau das macht die Situation zu einer potenziell sexistischen. Eher selten wird in fachlichen Kontexten das Äußere von Männern bewertet, das von Frauen sehr wohl – Politiker_innen sind dafür ein gutes Beispiel.

Es wird mit zweierlei Maß gemessen, und genau das macht Sexismus aus. Die entscheidende Frage ist nicht, was gesagt werden darf oder nicht, sondern die Frage nach der Macht. Also wann und aus welcher Position heraus eine Bemerkung über das Äußere genutzt wird, um damit zum Ausdruck zu bringen: Ich darf deine Attraktivität bewerten, wir sprechen hier nicht auf Augenhöhe miteinander.

Die Broschüre, auf der diese Reihe basiert, ist gerade als »luxemburg argumente« von der Rosa-Luxemburg-Stiftung herausgegeben worden. Die Autorin ist Anna Schiff. Ein Interview mit ihr gibt es hier zum Nachhören. Die llustrationen stammen von Marie Geissler.

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