»Eine Baustelle ist kein Porno«

Vergleichsweise wenige Arbeitsunfälle - die schweren davon auf Baustellen

  • Ellen Wesemüller
  • Lesedauer: 3 Min.
Die Zahl der Arbeitsunfälle in der Hauptstadt ist vergleichsweise gering. Die Arbeitssenatorin meint, das sei ihr Erfolg - Gewerkschaften fordern mehr Personal für das Landesamt für Arbeitsschutz.

»Ein Kran lädt Platten ab, sie kommen ins Schwingen, die schwere Ladung zermatscht ihm den Kopf.« Mit diesen Worten beschreibt Robert Rath, Direktor des Landesamts für Arbeitsschutz, Gesundheitsschutz und technische Sicherheit (LAGetSi), den Tod eines der drei Arbeiter, die 2015 bei Arbeitsunfällen ums Leben gekommen sind. Im laufenden Jahr sind bereits drei Tote zu beklagen. »Relativ gesehen ist die Zahl aber nicht gestiegen«, sagt Arbeitssenatorin Dilek Kolat (SPD) bei der Vorstellung des Arbeitsschutzberichts 2015 am Dienstag. Denn im ersten Quartal 2016 habe es 4,5 Prozent mehr Beschäftigte als im Vorjahr gegeben.

Nicht nur bezogen auf die Zahl der tödlichen Unfälle, auch weniger schwerwiegende Unglücke betreffend steht Berlin vergleichsweise gut da: Während im Bundesdurchschnitt 24,6 Menschen pro 1000 Arbeiter zwischen 2010 und 2014 verunglückten, sind es hier durchschnittlich 19 Menschen.

»Ich finde das positiv, weil hier viel gebaut wird«, sagt Kolat. Laut Statistik passieren die meisten Unfälle auf dem Bau sowie bei Holz- oder Metallarbeiten. Die gute Quote sei »ein Ausdruck davon, dass in Berlin viele Unternehmen das Thema Arbeitsschutz sehr ernst nehmen«. Rath sagt: »In der Stadt gibt es bessere Möglichkeiten, schlecht arbeitende Betriebe auszutauschen. Es gibt auch die Anwohnerschaft, die beobachtet.« Jeder könne helfen, krankmachende Arbeitsbedingungen an die Öffentlichkeit zu bringen, sagt Kolat. »Mir fällt auf, dass in Backshops und Cafés oft die Türen auf sind. Wie arbeitet es sich, ständig im Zug zu stehen? Da sind wir alle gefragt.«

Auch untersuchte das LAGetSi 20 Kräne auf zehn Baustellen und fand zahlreiche Mängel. »Es gibt in Berlin rund 10 000 Baustellen mit durchschnittlich zwei Baukränen«, sagt Hivzi Kalaycı, Gewerkschaftssekretär der IG BAU. 20 Kräne zu kontrollieren, sei definitiv zu wenig. »Die Dunkelziffer von Kränen, die eine Lebensgefahr darstellen, wird nicht gesehen.« Der Gewerkschafter fordert mehr Personal: »Wir wollen, dass besser und intensiver kontrolliert wird. Dafür muss die Anzahl der Kontrolleure erhöht werden.« Außerdem wirbt Kalaycı für einen Ansprechpartner beim »chronisch unterbesetzten« Landesamt. Denn auch die Gewerkschaft meldet dort Missstände. »Wenn keine Menschenleben in Gefahr sind, dauert es oft Wochen, bis jemand aktiv wird.«

Bei den Berufskrankheiten rangierten Hauterkrankungen 2015 mit 600 Fällen an erster Stelle. Rath sagt, das sei »Ergebnis von Feuchtarbeit« bei Friseuren und Reinigungskräften. Doch auch Hautkrebs falle unter diese Kategorie. »Junge, muskulöse Männer arbeiten auf Baustellen oft oberkörperfrei. Das kann durchaus erotisch aussehen. Aber eine Baustelle ist kein Porno und Hautkrebs ist kein schnelles Glück.« Es sei auch an den Arbeitnehmern, die Vorschriften umzusetzen, sagt Rath. »Wir halten nichts davon, die Schuld an die Arbeitnehmer weiterzugeben«, sagt Kalaycı. »Der Arbeitgeber muss Schutzvorrichtungen und Creme zur Verfügung stellen.«

Seit 2015 widmet sich das Landesamt auch psychischen Belastungen, als Teil der bundesweiten Initiative Gemeinsame Deutsche Arbeitsschutzstrategie. Belastungen, die zum Beispiel durch mehrere Tätigkeiten gleichzeitig oder eine monotone Tätigkeit entstehen. Vor allem im Textil- und Lebensmittelhandel komme es häufig zu Überfällen. In diesem Jahr sucht das Amt 117 Betriebe auf, um sie für die Thematik zu sensibilisieren. Unternehmen sollen selber Vorschläge machen, wie sie die Belastungen reduzieren können. Rath setzt auf die jungen Arbeitnehmer, die sehr sensibilisiert für diesen Bereich seien. »Ein 75 Jähriger hält das noch für Kokolores.«

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