Hungerstreik im Berliner Gefängnis

JVA Tegel: Insassen berichten von Drogenschmuggel durch Beamte, mehr Suizidversuchen und schlechter Gesundheitsversorgung

Briefe aus dem Gefängnis an »nd« berichten über Missstände in der JVA Tegel, die Beschäftigte und Inhaftierte treffen.
Briefe aus dem Gefängnis an »nd« berichten über Missstände in der JVA Tegel, die Beschäftigte und Inhaftierte treffen.

Mangel an Telefonen, mangelhafte medizinische Versorgung und ungenießbares Essen: Über Missstände in Deutschlands größtem Knast, der Justizvollzugsanstalt (JVA) Berlin-Tegel, wird bereits seit Jahren berichtet. Zuletzt im »nd« über die Auswirkungen der Kürzungen der Senatsverwaltung für Justiz aus Sicht des Insassen Andreas Krebs sowie aus Sicht der Gesamt-Interessen-Vertretung (GIV) der Inhaftierten der Anstalt und in Bezug auf resozialisierende Maßnahmen, wie dem Gefängnistheater aufBruch.

Da sich die Zustände nicht verbessern, ist der Gefangene Andreas Krebs seit dem  14. April im Hungerstreik. »Das ist eine Katastrophe hier. Ich kann nicht weiter zuschauen«, sagt er im Gespräch mit »nd«. Ein offener Brief zu seinem Hungerstreik, der auch der Anstaltsleitung vorliegen soll, ist auf der linksradikalen Plattform »Indymedia« veröffentlicht worden. Krebs schreibt, er streike für bessere Haftbedingungen.

Er berichtet nicht nur davon, wie die Kürzungen die ohnehin angespannte Lage in der JVA verschärfen, sondern erhebt schwere Vorwürfe gegen die Anstalt: Man würde ihn, der laut eigenen Aussagen Nierenkrebs hat und am 14. November einen Schlaganfall erlitten hat, keine adäquate Gesundheitsversorgung bieten. Außerdem würde ihm die Anstaltsleitung Post vorenthalten und ihn schikanieren, weil er die Missstände öffentlich mache. So sei sein Taschengeld von 44 Euro auf 30 Euro verringert worden.

Hinzu kommen Vorwürfe von Überwachung. Krebs berichtet davon, dass Räume innerhalb der Anstalt abgehört würden. »Ich war sprachlos«, sagt er »nd«, als er erzählt, wie er Abhörgeräte gefunden habe.

Eine Sprecherin der Senatsverwaltung für Justiz teilt »nd« mit, dass die JVA Tegel über vier Arztgeschäftsstellen verfüge. Jeder Inhaftierte habe die Möglichkeit, sich dort zu versorgen. »Im Falle akuter Beschwerden werden die betreffenden Inhaftierten natürlich prioritär versorgt«, so die Sprecherin. Die Angaben zu vermeintlichen Abhörgeräten in Bedienstetenbüros seien überprüft und »als nicht der Wahrheit entsprechend« bewertet worden.

In seinen 16 Jahren Haftzeit habe Andreas Krebs zuvor noch keinen einzigen Fall von Korruption erlebt, der von Justizvollzugsbeamten ausginge. Doch in der JVA Tegel würden die Beamten Drogen in Sporttaschen in die Anstalt schmuggeln, erzählt der Gefangene. »Statt die Inhaftierten soll man lieber die Beamten kontrollieren«, meint Krebs.

»Durch die massive Drogenproblematik fallen viele Leute hier um«, sagt er. Auch der GIV-Sprecher Andreas Greiner berichtet »nd« in mehreren Gesprächen von einer neuen Drogenproblematik in der JVA. Er meint, weil die Haftbedingungen schlechter und mehr Insassen Drogen konsumieren würden, würden auch die Suizidversuche zunehmen.

Die Angaben des Gesamtinsassenvertreters bezüglich der hohen Anzahl an Suizidversuchen in der JVA könnten nicht bestätigt werden, teilt die Sprecherin der Justizverwaltung mit. Dieses Jahr habe sich nur ein Suizidversuch in Tegel ereignet. Auf Nachfrage, welche Präventionsangebote gegen Suizid es für die Gefangenen gebe, heißt es, dass die Angestellten in der JVA regelmäßig geschult werden im Umgang mit Inhaftierten mit Suizidrisiko, dass alle Inhaftierten bei Aufnahme in der JVA mithilfe eines Suizidscreenings überprüft würden und dass regelmäßige Risiko-Monitorings stattfinden würden. »Im Falle eines Suizidversuches werden im Anschluss weitere Maßnahmen der Suizidprävention angeordnet und entlastende Gespräche zwischen der oder dem Inhaftierten und den Fachdiensten zur Aufarbeitung des Grundes für den Suizidversuch geführt«, teilt die Sprecherin mit.

In der JVA gehöre laut der Justizverwaltung eine relativ hohe Suchtbelastung unter den Inhaftierten dazu, darum gebe es auch Angebote zum Suchtmittelmissbrauch. Jedoch gab es zuletzt 2019 eine »interne Erhebung« zu Verdachtsfällen von Drogenschmuggel unter Bediensteten in der JVA. Das Ergebnis lautete: Bei nur 0,6 Prozent der Angestellten hätte es einen Verdacht gegeben. »Nur in drei Fällen seit dem Jahr 2020 hat sich dieser Verdacht auch in einem strafrechtlichen Verfahren bestätigt«, so die Sprecherin der Verwaltung.

Obwohl laut Greiner viele der Probleme in der JVA Tegel nicht neu sind, verschlimmere sich der Zustand der Anstalt immer mehr. »nd« berichtete im Januar über eine nicht-funktionierende Zahlstelle in der JVA. So sei es laut Aussagen der Justizverwaltung wegen personeller Engpässe und technischer Probleme zu Verzögerungen bei sämtlichen Buchungen gekommen. Die Probleme seien im Januar behoben worden sein. »Die Zahlstellenprobleme sind in keinster Weise gelöst!«, heißt es jedoch in einem Brief eines Gefangenen an »nd« aus dem März 2025. Die verzögerten Auszahlungen führten nicht nur dazu, dass die Insassen bestimmte Produkte nicht kaufen können oder regelmäßige Zahlungen vom Konto nicht abgingen, sondern treffen insbesondere migrantische Insassen: Viele müssen Geld an die Familie schicken, so Greiner.

Greiner berichtet auch von Folgen einer immer härter strafenden Justiz: »Haus 5 ist inzwischen nur wegen Schwarzfahrens voll«, sagt er und bezieht sich auf Personen, die im Gefängnis eine Ersatzfreiheitsstrafe verbüßen, weil sie die Strafe für das Fahren ohne gültiges Ticket nicht zahlen konnten. Die Anstalt werde so immer voller.

»Kein Problem ist so neu, dass es nicht schon seit 30 Jahren diskutiert wird. Vom Vollzug hören wir immer nur, ›wir arbeiten daran‹. Passieren tut jedoch wenig bis gar nichts.«

Andreas Greiner 
Gesamt-Interessen-Vertretung JVA Tegel

Die Situation hat nicht nur Auswirkungen auf die Gefangenen. »Die große Masse der Mitarbeitenden hat die Schnauze voll«, sagt der Sprecher der Gesamt-Interessen-Vertretung aus der JVA. Auch Andreas Krebs sieht das so. Sozialarbeiter*innen hätten keine Zeit mehr für die vielen Insassen, die sie betreuen sollen. »Es kamen Beamte zu mir und haben sich bedankt dafür, dass ich kein Blatt vor den Mund nehme«, berichtet er. Im Hungerstreik wolle er »bis zum Ende« bleiben.

Seit Jahrzehnten kenne der Sprecher der Gesamt-Interessen-Vertretung Andreas Greiner Probleme wie »zu wenig Reinigungsmittel«, Ärger mit dem Telefonanbieter Telio und spärliche Freizeitangebote, wie er in der aktuellen Ausgabe der Gefangenenzeitschrift »Lichtblick« schreibt. »Kein Problem ist so neu, dass es nicht schon seit 30 Jahren diskutiert wird«, schreibt er. Vom Vollzug höre man immer nur, »wir arbeiten daran«, schreibt er. Passieren tue jedoch wenig bis gar nichts.

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