Wählerfrust ausgeschwitzt

Fitnesstour durch den Nordosten: DGB warb um Stimmen für demokratische Parteien

  • Hagen Jung
  • Lesedauer: 4 Min.
Unter dem Motto »Fit zur Wahl« sind Aktivisten des DGB durch Mecklenburg-Vorpommern getourt. Die Gewerkschafter wollten für den 4. September zur Wahl einer demokratischen Partei ermuntern.

»Ich wähle NPD«, knurrt ein Mann, der seinen Spaziergang am Infostand des Deutschen Gewerkschaftsbundes in Wolgast eigentlich gar nicht unterbrechen will, kritisch auf den weißen Kleinbus mit der Aufschrift »Fit zur Wahl!« guckt, sich dann aber doch auf ein Gespräch einlässt mit einem der diskussionsfreudigen DGBler. Warum er seine Stimme den Nazis geben will? Aus Protest, lautet die Antwort. Protest gegen die derzeitige Landespolitik, die sich zu wenig um die Sorgen der »kleinen Leute« kümmere.

Allen Menschen im Nordosten, die, ähnlich frustriert wie jener Wolgaster, über die Wahl einer Rechtspartei nachdenken, wollte der DGB mit seiner mehrwöchigen Aktionstour zurufen: Erteilt Rassismus, Hass und Rechtspopulisten bei der Landtagswahl eine Absage - gebt die Stimme einer demokratischen Partei! Welcher? Dazu haben die Gewerkschafter keine Empfehlungen gegeben, nannten aber durchaus bevorzugte Entscheidungskriterien.

»Gute Arbeit, faire Löhne und gerechte Lebensverhältnisse gehören ins Zentrum der Landespolitik«, hatte der Vorsitzende des DGB Nord, Uwe Polkaehn, zum Start der Tour in Schwerin bekräftigt. Mehr Engagement für die frühkindliche Bildung, Förderung schwächerer Schulabgänger vor der betrieblichen Ausbildung, Ausbau des Breitband-Internets, Verbesserung der Infrastruktur sind weitere Punkte aus einem Forderungskatalog, den das Tourteam für Interessierte bereithielt.

Dort wo es stoppte, in zwölf Städten und Gemeinden, konnten die Besucher der DGB-Präsenz nicht nur im Gespräch ihren Frust über das Tun und Lassen der Regierenden loswerden, sondern ihn auch ausschwitzen: Dem Tourmotto gemäß, hatten die Gewerkschafter ein paar Fitnessgeräte mitgebracht, an denen sich auf die Schnelle die körperliche Leistungsfähigkeit erproben ließ. Zum Prüfen der »politischen Fitness« indes lagen am Stand Testbögen bereit. Mehr ein Spaß, denn die Frage, ob Lohn und Rente zum Leben reichen müssen - die anderen Fragen waren ähnlich »eindeutig« - wird wohl kaum jemand mit nein beantwortet haben.

Löhne, Renten unsichere Arbeitsverhältnisse: Auf der Sorgenskala der Menschen, mit denen die Gewerkschafter an den Tourstationen sprachen, standen diese Themen ganz oben. Das berichtet beispielsweise Volker Schulz, DGB-Regionsvorsitzender in Stralsund. Darüber hinaus seien oft regionale Probleme angesprochen worden, so etwa in Wolgast. »Die Bürgerinnen und Bürger dort fühlen sich abgehängt«, so der Gewerkschafter im Gespräch mit »nd«, denn: Erst war ihnen im Rahmen der Justizreform das Amtsgericht weggenommen worden, dann wurden mehrere Stationen des Krankenhauses geschlossen, nun hat die Deutsche Bank angekündigt, ihre einzige Filiale zu schließen.

»Es sind viele ernst zu nehmende Probleme, über die sich die Leute an unserem Stand Luft gemacht haben«, blickt Schulz auf die Tage des Fit-zur-Wahl-Teams an der Ostsee zurück. Danach war es zum Ausklang der Aktion zwischen Torgelow und Demmin unterwegs. Auch DGB-Nord-Chef Polkaehn bilanziert zu den Tourtagen: »Wir haben viel über die konkreten Sorgen und Nöte der Arbeitnehmer und ihrer Familien erfahren.« Als »Lohnkeller der Nation« habe der Nordosten einen besonderen Problemdruck, und gerade für die Niedrigstlohnregionen Vorpommerns gelte: »Soziale Gerechtigkeit, mehr Tarifverträge und gute Ausbildungsbedingungen müssen her, um endlich Anschluss an das allgemeine Lohnniveau zu finden und Fachkräfte hier zu halten.« Wie wichtig unter diesem Aspekt die Beteiligung an der Landtagswahl sei - das zu vermitteln war ein wesentliches Ziel der Fit-Aktion, unterstreicht Polkaehn.

Für die Interessen der Arbeitnehmer aber, so fügt Polkaehns Stellvertreter Ingo Schlüter hinzu, könnten sich nur Politiker einsetzen, die bereit sind, Verantwortung für ihre Zusagen zu übernehmen. Es habe daher keinen Sinn, Parteien zu wählen, die sich an »Monothemen« hochziehen, wie es die AfD tue.

Sie hatte bei der Landtagswahl in Sachsen-Anhalt 24,3 Prozent der Wählerstimmen erhalten. Angesichts dessen, so Schlüter, war es auch ein Ziel von »Fit zur Wahl«, zu verhindern, »dass erneut rassistische und rechtspopulistische Positionen Zulauf erhalten«. Vielleicht hat ja das Gespräch mit den Gewerkschaftern in Wolgast auch jenen Mann, der die NPD wählen wollte, dazu bewogen, diese Absicht zu überdenken.

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