Erdogans langer Arm reicht bis ins Ländle

Türkischer Generalkonsul in Stuttgart fordert »Überprüfung« von Einrichtungen der Gülen-Bewegung, während Ankara auf die Auslieferung von zwei Staatsanwälten drängt

  • Fabian Lambeck
  • Lesedauer: 3 Min.
Der Druck aus Ankara wächst: In einem Schreiben regt der türkische Konsul eine härteres Vorgehen gegen die Gülen-Bewegung an. Ministerpräsident Kretschmann wies die Forderungen zurück.

Ein Brief brachte Baden-Württembergs Ministerpräsidenten Winfried Kretschmann (Grüne) auf die Palme. »Wir erhielten vom türkischen Generalkonsulat in Stuttgart jetzt ein Schreiben, in dem die Landesregierung aufgefordert wurde, Vereine, Einrichtungen, Schulen, die nach Meinung der türkischen Regierung von der Gülen-Bewegung, wie sie sagt, betrieben werden, einer Prüfung zu unterziehen und eine neue Bewertung vorzunehmen«, sagte Kretschmann der »FAZ«.

»Das hat mich in höchstem Maße befremdet! Genau das werden wir selbstverständlich nicht machen«, sagte Kretschmann. »Hier sollen Leute auf irgendeinen Verdacht hin grundlos verfolgt und diskriminiert werden.« Der Ministerpräsident sagte, ihm lägen »keine Belege« für die Behauptung der türkischen Regierung vor, dass die Hizmet-Bewegung des islamischen Predigers Fethullah Gülen für den gescheiterten Militärputsch in der Türkei verantwortlich sei.

Das Schreiben des Generalkonsuls in Stuttgart, Ahmet Akinti, stammt vom 22. Juli. In dem Brief, den die Nachrichtenagentur dpa in Auszügen veröffentlichte, heißt es unter anderem, dass sich die Türkei bei der Verfolgung der Drahtzieher des Putsches »auf die Unterstützung und Solidarität aller befreundeten Staaten« verlasse.

Mehrere Anfragen von »neues deutschland« bei anderen Landesregierungen ergaben, dass sich die Türkei bislang wohl nur in Baden-Württemberg so massiv in die Landesangelegenheiten einmischte. So sagte NRW-Vize-Regierungssprecher Thomas Behrens dieser Zeitung, dass »bislang noch kein derartiges Schreiben eingegangen ist«. Dabei hat Nordrhein-Westfalen die größte türkischstämmige Community aller Bundesländer.

Auch in der Bayerischen Staatskanzlei erklärte die dortige Sprecherin gegenüber »nd«, dass so ein Brief nicht vorliege. Fehlanzeige auch in Rheinland-Pfalz. »Wir haben kein Schreiben erhalten«, so die Sprecherin der Mainzer Landesregierung.

Zu der Bewegung Gülens, der einst mit Erdogan antrat, die säkulare Türkei zu re-islamisieren, gehören weltweit Hunderte Schulen und andere Einrichtungen. Auch in Deutschland ist die Gülen-Bewegung unter dem Namen Hizmet aktiv, etwa in Stutgart und Berlin, wo auch die Hizmet-Stiftung »Dialog und Bildung« ihren Sitz hat. Nach Angaben der Stiftung »engagieren« sich in der Bundesrepublik etwa 150 000 Menschen für Hizmet bzw. Gülen. Sie betreiben hier etwa 160 Nachhilfevereine, 30 Schulen und ein Dutzend Dialogvereine.

Offenbar macht Ankara auch auf Bundesebene Druck. So forderte der türkische Außenminister Mevlüt Cavusoglu, »manche Richter und Staatsanwälte« mit Gülen-Verbindungen an die Türkei auszuliefern. Namen nannte der Minister nicht, aber um wen es geht, scheint klar: die beiden früheren Staatsanwälte Zekeriya Öz und Celal Kara, die sich einer Verhaftung im August 2015 durch Flucht ins Ausland entzogen. Es gibt Vermutungen, dass die zwei sich nach Deutschland abgesetzt haben. Mittlerweile gingen beim Auswärtigen Amt zwei offizielle Auslieferungsanträge ein.

Aus deutschen Regierungskreisen heißt es allerdings: »Wir haben keine Erkenntnisse, dass sich die beiden Staatsanwälte tatsächlich in Deutschland aufhalten.« Zudem machte Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) deutlich, dass alle Auslieferungsanträge aus der Türkei nach streng »rechtsstaatlichen Prinzipien« geprüft würden. In der Türkei sind die beiden Staatsanwälte für manchen wohl ein Rotes Tuch. Sie waren Ende 2013 maßgeblich an Korruptionsermittlungen gegen das Umfeld Erdogans beteiligt.

Kritik am türkischen Vorgehen kam von Grünen-Bundeschef Cem Özdemir. Der »FAZ« sagte er: Der Arm des türkischen Staatspräsidenten Recep Tayyip Erdoğan möge in viele Teile der türkischen Gesellschaft reichen. »In Stuttgart, Berlin und anderswo hat er aber nichts verloren«, so Özdemir. Zugleich äußerte er sich skeptisch über den türkisch-muslimischen Verband Ditib. »Wer Ditib jetzt in die Schulen lässt, der lässt Erdoğan in die Schulen«, sagte der Grünen-Politiker. Tatsächlich koordiniert die Ditib die Arbeit von 900 Moscheegemeinden in Deutschland und ist direkt der türkischen Regierung unterstellt.

Die LINKE-Bundestagsabgeordnete Sevim Dagdelen erklärte: »Erdogan will seine Diktatur auch auf Deutschland ausdehnen. Das dürfen wir nicht zulassen.« Mit Agenturen

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