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Die Krise um den britischen Labour-Vorsitz sollen nun die Mitglieder lösen

  • Ian King, London
  • Lesedauer: 3 Min.

Der Hohe Gerichtshof entschied: Jeremy Corbyn darf um den Labour-Vorsitz kandidieren, ohne die Unterschriften von 50 FraktionskollegInnen zu sammeln. Die Gegenklage des Labour-Großspenders Michael Foster wurde abgeschmettert. Ein Glück für den amtierenden Parteichef, dem die eigene Unterhausfraktion mit 172 gegen 40 Stimmen das Misstrauen ausgesprochen hatte. Jetzt können die verworrenen Verhältnisse zwischen Führung, Mitgliedern und Volksvertretern geklärt werden.

Vor einem Jahr siegte Corbyn mit knapp 60 Prozent der Mitgliederstimmen als linker Außenseiter. In 32 Jahren als Abgeordneter hatte er sich als Oppositionsgewissen profiliert, gegen konservative Regierungen, aber auch gegen New Labours Neoliberalismus und den Irak-Krieg. Der damals 66-Jährige ohne höheren Ehrgeiz riss desillusionierte Mitglieder durch seine Aufrichtigkeit zu Begeisterung hin. Aber die hohen Tiere der Fraktion versuchten nach der Brexit-Abstimmung einen langfristig geplanten Putsch, stellten den zwanzig Jahre jüngeren Waliser Owen Smith als Gegenkandidaten auf. So zumindest die Sicht der »Corbynistas«. Im September entscheiden die Mitglieder zwischen beiden.

Dabei gilt Corbyn unter den Wahlberechtigten als klarer Favorit, bei sonstigen Wählern jedoch nicht. Denn im Parlament scheitert er regelmäßig bei den Fragestunden gegen David Cameron und neuerdings Theresa May, setzt keine neuen Akzente, wusste auch nicht, ob er bei öffentlichen Anlässen als Republikaner die Nationalhymne singen durfte. Was den einen als wohltuender Kontrast zum aalglatten Machtmenschen Cameron erscheint, betrachtet die Wählermehrheit als Schwäche. Nach einer Umfrage im Londoner »Evening Standard« meinen 57 Prozent der Befragten, Corbyn sei weder als Oppositionsführer noch als Alternativpremier geeignet, ein Wählerschreck also. Eine andere Umfrage sieht die Tories mit 43 Prozent vor Labour mit 27 Prozent in Führung, ein doppelt so hoher Vorsprung wie bei der Parlamentswahl 2015. Kein Wunder, dass so viele Kollegen Corbyns Schattenkabinett fluchtartig verließen.

In diese Leere stieß Owen Smith, ein ehemaliger BBC-Produzent und Ex-Lobbyist für den US-Pharmariesen Pfizer. Trotz Beschimpfungen aus dem Corbyn-Lager gibt sich Smith ebenfalls als Linker. Eine 15-prozentige jährliche Reichensteuer soll höhere Investitionen im Gesundheitsbereich finanzieren, die von den Konservativen reduzierten Erbschafts- und Körperschaftssteuern sollen wieder kräftig steigen, Arbeiter- und Gewerkschaftsrechte wiederhergestellt werden. Kurzum: Nordenglische Traditionswähler, die der Empfehlung zum EU-Verbleib nicht folgten, sollen zurückgeholt werden. »Das Land braucht eine praktische Revolution, um mit Austerität und jahrelang eingefrorenen Löhnen im öffentlichen Dienst zu brechen«, beschwört Smith seine Zuhörer.

Dabei bleibt offen, inwieweit Smith an solche Thesen glaubt und im unwahrscheinlichen Fall eines doppelten Sieges - gegen Corbyn und May - durchsetzen kann. Der Neue verlangt eine zweite EU-Volksabstimmung über die Austrittsbedingungen, aber eigentlich will Smith lieber die Mehrheitsverhältnisse umkehren und in der EU bleiben. Und er greift den Versuch übereifriger Corbyn-Freunde an, parteiinterne Gegner und vor allem Gegnerinnen einzuschüchtern. Doch dass 57 Prozent der Wähler ihm mehr vertrauen als Corbyn, zeugt eher gegen Letzteren als für den kaum bekannten Herausforderer. Fazit des linksliberalen »Guardian«: Labour-Mitglieder haben sechs Wochen Zeit, um die Waren der beiden auszuprobieren, bevor man sie womöglich kauft.

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