Keine Panik - es gibt Plan B

Ein Leipziger Projekt vermittelt Studienabbrechern eine passende Lehrstelle

  • Heidrun Böger, Leipzig
  • Lesedauer: 5 Min.

Christoph Wagner war vor einigen Wochen zum ersten Beratungstermin bei Jana Wünsch. Der 21-Jährige hatte gerade sein Physikstudium an der Martin Luther-Universität Halle-Wittenberg im vierten Semester abgebrochen: »Das Studium wurde zunehmend theoretisch, ich interessiere mich aber mehr für Experimentalphysik, knoble gern an Gleichungen und bin eine Bastlernatur.« Familie und Freunde gaben ihm Rückhalt bei seiner Entscheidung.

Irgendwie musste es jetzt weitergehen. Jana Wünsch sollte ihm helfen, eine neue Perspektive zu finden. Christoph Wagner: »Ich stand vor einem ziemlichen Abgrund.« Jana Wünsch ist eine von drei Mitarbeiterinnen bei Plan B, einem Projekt für Studienaussteigerinnen und -aussteiger innerhalb des Bundesprogrammes »Jobstarter plus - für die Zukunft ausbilden«. Sie vermittelt den Kontakt zu Firmen, die Auszubildende suchen - eine neue Chance auch für Christoph Wagner. Schnell war klar, dass er in der naturwissenschaftlichen/technischen Richtung bleiben wollte. Die Beraterin vermittelte ihm knapp ein Dutzend Firmen, er entschied sich nach drei Vorstellungsgesprächen für das Kugel- und Rollenlagerwerk Leipzig, wo er vor wenigen Tagen eine Lehre als Industriemechaniker begann.

Die Gründe für den Ausstieg aus dem Studium sind vielfältig. Für manche sind die Anforderungen zu hoch, sie bestehen die Prüfungen nicht. Andere haben psychische Probleme, fühlen sich überfordert. Finanzielle Sorgen kommen hinzu. »Oft ist es ein ganzes Bündel von Problemen«, sagt Plan B-Projektleiterin Wünsch. Sie und ihre beiden Kolleginnen beraten übrigens mehr Männer als Frauen. Über die Gründe des höheren Männeranteils kann man nur spekulieren, manche kommen wohl mit der großen Selbstständigkeit beim Studium nicht zurecht, das Elternhaus hat sie überbehütet. Aber unabhängig vom Geschlecht gibt es auch das Gegenteil: Kindern aus Nicht-Akademikerhaushalten fehlt oft der finanzielle und ideelle Rückhalt. Viele müssen nebenbei jobben und schaffen dann das Studium nicht.

Als erstes versuchen die Beraterinnen zu klären, in welche Richtung es gehen kann. Wer etwas Technisches studiert hat, möchte oft in dieser Richtung bleiben. So könnte ein Wirtschaftsingenieur Zweiradmechatroniker oder Groß- und Außenhandelskaufmann werden, eine Jura-Studentin vielleicht Verlagskauffrau.

Klar ist, dass der künftige Azubi mit zehn Jahre Jüngeren in der Berufsschulklasse sitzen wird. Für die Betriebe ist das auch eine Chance, verfügen diese älteren Lehrlinge doch über Lebenserfahrung - und sie haben Abitur. Dennoch gibt es Vorbehalte, denn Studienabbrechern wird schnell mal mangelndes Durchhaltevermögen attestiert. Beraterin Susan Wille: »Für uns ist es wichtig, keine neuen Abbrecher zu generieren.«

Die Aufgabe des Plan B-Teams hat zwei Seiten: Zum einen wird versucht, kleine und mittelständische Firmen in Leipzig und im weiteren Umland zu finden, die Studienabbrecher einstellen. Dafür ruft das Team die Firmen- und Personalchefs an, macht ihnen die Sache quasi schmackhaft. Auch auf Ausbildungsmessen ist man präsent und im Internet. Mit etwa 50 Firmen aus Leipzig, dem Leipziger Umland und Nordsachsen bis Oschatz arbeitet Plan B zusammen.

»Wir sind auch in den Betrieben vor Ort«, sagt Beraterin Wille. »Einmal erklärte ihr der Personalchef, man sei immer auf der Suche nach billigen Arbeitskräften, der Firmenchef sei allerdings gerade auf Kuba und nicht präsent.« Nein, unterstreicht Wille: »So ein Arbeitgeber kommt für uns nicht in Frage.« Die Kooperationsstelle Wissenschaft und Arbeit (Kowa), zu der das Projekt Plan B gehört, ist übrigens gewerkschaftsnah.

Im zweiten Schritt gilt es dann, den richtigen Bewerber, die richtige Bewerberin für genau diese Ausbildung zu finden, sei es beim Pharmagroßhändler Noweda, in einer Chocolaterie oder im Elektrogroßhandel.

Vorbehalte gibt es auch seitens der Studenten. »Die Studierenden sehen die Lehre oft als Abstieg«, sagt Wünsch. Doch gebe es die Option des Meisterstudium oder die Entwicklung zum Fachwirt. Viele Firmenchefs suchen Nachfolger in zehn Jahren, ein ehemaliger Student hätte hier Potenzial. Viele Studenten wissen auch nicht, dass man als Azubi ein Entgelt erhält.

Etwa 80 Beratungsfälle hatten die Mitarbeiterinnen von Plan B seit der Gründung im Januar 2015. Bundesweit liegt die Abbrecherquote für Studierende laut Angaben des Deutschen Zentrums für Hochschul- und Wissenschaftsforschung bei etwa 30 Prozent. Bei Plan B, so betont das Team, werde ergebnisoffen beraten, aber auf die Option der dualen Berufsausbildung hingewiesen. Manche, die Rat suchen, kommen nur einmal, viele öfter. Bei manchen fällt eine Entscheidung erst nach dem fünften Gespräch.

Viele der Ex-Studierenden wollen auch in Leipzig bleiben und sind nicht bereit, ins Umland zu pendeln. Bei einer Filzfabrik in Wurzen ist Arbeitsbeginn um 6.30 Uhr. Das macht die Vermittlung in einem solchen Fall natürlich schwierig. Doch wichtig sei, so Wünsch, »dass es eine Anlaufstelle für Studienabbrecher gibt, auch wenn nicht jedes Beratungsgespräch in einen Lehrvertrag mündet«.

Insgesamt gibt es deutschlandweit etwa 18 Projekte wie Plan B. Sie entstanden oft auch deshalb, weil Azubis gesucht werden, während immer mehr Leute studieren, nicht selten aber überfordert und/oder ungeeignet sind. Eine jahrelange Fehlentwicklung, für die die Politik die Verantwortung trägt.

Bei Plan B in Leipzig wurden sechs Studienabbrecher bisher vermittelt, neun ehemals Studierende haben nach Beratungen selbst eine Lehrstelle gefunden. Von vielen hören Jana Wünsch und ihre Kolleginnen nichts mehr, so dass sie den Entwicklungsweg nicht weiterverfolgen können.

Informationen zu Plan B im Netz unter: www.kowa-leipzig.de

Fachtag: »Willkommen an Bord?! Die Attraktivität der beruflichen Bildung für Studienabbrecher« im Erich-Schilling-Saal des Volkshauses Leipzig, Karl-Liebknecht-Straße 30/32, 22. September 2016, 15 bis 18 Uhr

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