Genau das, was wir sehen wollen

Der Landessportbund Berlin will Flüchtlingen bei der Integration helfen - beim Besuch des Ruderclubs Tegelort zeigen sich Funktionäre und Journalisten unsensibel

  • Niklas Noack
  • Lesedauer: 4 Min.

Heide Meyer fällt der Umgang mit Flüchtlingen leicht: »Die jungen Männer sind alle sehr freundlich und winken mir immer«, erzählt die Vorsitzende des Ruderclubs Tegelort. Sie steht nervös vor einigen Journalisten und Sportfunktionären, die sie am Eingang des Clubhauses begrüßt. Idylle umgibt das Vereinsheim. Zwischen Bäumen, Villen und dem anliegenden See befindet sich auch eine Unterkunft für unbegleitete minderjährige Flüchtlinge. Meyer hält an der Tür stehend, mit brüchiger Stimme, ein Plädoyer für die netten jungen Männer und erklärt, weshalb man keine Angst vor ihnen haben muss. Sie verbreitet das Gefühl, sich rechtfertigen zu wollen. Der Vorsitzende des Landessportbundes Berlin (LSB) Klaus Böger rettet sie aus einer für sie unangenehm werdenden Situation: »Das haben Sie alles ganz toll gemacht«, lobt er, nachdem er sich erst mal wundert, wo denn in dieser Gegend »die« Flüchtlinge herkommen.

Der Landessportbund Berlin hat Journalisten auf eine Informationstour eingeladen, um seine Sportangebote für Flüchtlinge zu präsentieren. Er will eine wichtige Rolle in der Integrationspolitik einnehmen. Der Sport soll neben Abwechslung und der erleichterten Eingliederung in die Gesellschaft auch als Therapie gegen Traumata dienen.

Der Berliner Senat hat eigens einen »Masterplan« zur Integration erstellt, zwei der 70 Seiten widmen sich dem Sport. 350 000 Euro wurden dem LSB für 2016 zur Verfügung gestellt, um die Arbeit mit Flüchtlingen zu unterstützen. Bei circa 50 000 geflüchtete Menschen, die in Berlin bleiben werden, macht das sieben Euro pro Person. Claudia Finke, Vizepräsidentin des LSB für Sportentwicklung, findet das viel zu wenig: »Wir versuchen das auszubauen, vor allem in Hinblick auf die nächsten Jahre.« Zumindest wurde das Geld auf Drängen des LSB beschleunigt zur Verfügung gestellt, so Zinke. Sie spricht von Materialkosten, vor allem aber von der Notwendigkeit ausgebildeter Trainer, die mit Traumata und Ähnlichem umzugehen wissen.

Die Ruderclubvorsitzende Meyer schließt das Vereinsheim auf und führt die Besucher durch einen großen hellen Veranstaltungssaal, der mit dunklen Möbeln eingerichtet ist. Ihre Stimme klingt stolz: »1955 haben unsere Mitglieder das Clubhaus selbst erbaut.« Meyer präsentiert die Boote, von denen einige Sportjournalisten begeistert sind. Nachdem ausgiebig die Umgebung erkundet wurde, wird Meyer von den Journalisten zu den Geflüchteten befragt. Sie erzählt von einem Streit zwischen Jugendlichen des Rudervereins und minderjährigen Geflüchteten. Dabei geht es um junge Liebe. Während sie erzählt, wirft ein Radiokollege drängend ein: »Habe ich Sie richtig verstanden? Die Flüchtlinge nehmen den deutschen Jungen die Freundinnen weg?« Meyer schaut den Journalisten perplex an und beginnt zu stocken. Dann rechtfertigt sie, schneller sprechend als zuvor, dass es sich um eine normale Zankerei zwischen Teenagern handelt.

Wie so manchem Journalisten fehlt auch dem LSB-Vorsitzenden Böger die Sensibilität. Während eines Interviews mit ihm über die mit Flüchtlingen besetzten Sporthallen in Berlin, treffen die jungen Geflüchteten ein. Böger beendet das Interview: »Jetzt gucken wir uns doch mal die jungen Männer an«. Die Jungs werden den Besuchern vor dem Bootshaus präsentiert. Da sie minderjährig sind, dürfen sie weder erkenntlich fotografiert, noch interviewt werden. Die Distanz zwischen ihnen und den Besuchern ist greifbar. Von Journalisten umzingelt sollen sie vorführen, wie sie zusammen mit ihrer Trainerin Kathrin Kruse in See stechen.

Mit dem Interviewverbot tun sich die Journalisten schwer. Ihnen wurde ein volljähriger Geflüchteter versprochen, der als einziger Flüchtling Mitglied des Clubs ist. Er sollte in voller Vereinsmontur erscheinen und Interviews geben. Nur: Er kam nicht. Auch das Fotoverbot wird nur ungern akzeptiert. Der für die Flüchtlinge verantwortliche Sozialarbeiter rechtfertigt sich: »Ich kann da nichts machen, da bekomm ich Ärger von Oben«. Schließlich einigen sie sich darauf, dass die Jungs von hinten und unkenntlich fotografiert werden dürfen.

Die Jugendlichen tragen ihr Boot zum Steg, an dem sie dann Anweisungen von ihrer Trainerin Kruse entgegennehmen. Sie sind angespannt und reden auch untereinander kaum. Kruse muss den Jungs helfen, das Boot abfahrbereit zu machen: »Durch den Ramadan waren die meisten schon länger nicht mehr da«, erklärt sie. Als sie von ihrer Runde auf dem See nicht zurückkommen, drängt die stellvertretende Pressesprecherin des LSB, Angela Baufeld, auf baldige Abreise. Ein Journalist wird unruhig und ruft hektisch über den See das Boot wieder herbei - er will Kruse noch zu ihrem Verhältnis mit den Jugendlichen interviewen. Eine Radiojournalistin nimmt noch ein paar O-Töne vom plätschernden Wasser auf, dann wird sich verabschiedet. Baufeld bedankt sich bei der Vereinsvorsitzenden Meyer und der Trainerin Kruse: »Das war genau das, was wir sehen wollten«.

Im Bus hält die Sozialpädagogin und LSB Dozentin Sonsan Azad noch einen Vortrag vor den Journalisten über den Umgang mit Flüchtlingen. Sie ist in den 80er Jahren selbst aus Afghanistan geflohen. Ihr Fazit lautet: »Einfach mal normal sein, wie man mit jungen Menschen eben umgeht«. Von Normalität war an diesem Tag allerdings wenig zu spüren.

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