Ein faules Ei im Streik-Omelett

Steigt durch ein Urteil des Bundesarbeitsgerichts gegen die Lotsengewerkschaft das allgemeine Streikrisiko?

  • Josephine Schulz
  • Lesedauer: 3 Min.
Das Bundesarbeitsgericht verdonnerte die Lotsengewerkschaft zu Schadenersatzzahlungen. Juristen und Gewerkschafter diskutieren über die Folgen.

Ein Streik, der für rechtswidrig erklärt wird, kann dazu führen, dass Gewerkschaften Schadenersatz zahlen müssen. Das ist nichts Neues. In dem Urteil des Bundesarbeitsgerichts (BAG) von Ende Juli gegen die Gewerkschaft der Fluglotsen, sehen Arbeitsrechtler jedoch eine überraschende Wende und fürchten, dass das finanzielle Streikrisiko für Gewerkschaften nun steigen wird.

Das BAG hatte einen Streik der Gewerkschaft der Flugsicherung (GdF) am Frankfurter Flughafen für rechtswidrig erklärt und dem Betreiber Fraport Schadenersatz zugesprochen - es geht um bis zu 5,2 Millionen Euro. Grund war, dass einzelne Streikforderungen noch der Friedenspflicht unterlagen. Die Arbeitsrichter machten deutlich, dass bereits ein einziger Verstoß bei der Friedenspflicht einen Arbeitskampf rechtlich infrage stellt. »Das Streikrisiko ist aus meiner Sicht in unzumutbarer Weise gestiegen«, sagte der Bremer Arbeitsrechtler Wolfgang Däubler. Arbeitgeber würden jetzt genau ausloten, ob sie rechtlich gegen Streiks vorgehen können. »Nun müssen die Gewerkschaften noch vorsichtiger sein.«

Höhere Risiken sieht auch der Bonner Arbeitsrechtler Gregor Thüsing. Er sprach außerdem von einer überraschenden Entscheidung: »Es ist bemerkenswert, dass das BAG erstmals ernst gemacht hat mit Schadenersatz bei einem Streik.« Das könne dazu führen, dass Schadenersatzforderungen bei Streikfehlern der Gewerkschaften in der Zukunft häufiger zu finanziellen Konsequenzen führten.

Peter Berg, Justiziar des ver.di Landesbezirks NRW, kann indes keine grundsätzliche Kehrtwende in der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts erkennen. Er sagte gegenüber »nd«: »Mit Schadenersatzforderungen wurden die Gewerkschaften schon immer konfrontiert.«

Auch ver.di wurde in der Vergangenheit vereinzelt wegen Streiks, die als rechtswidrig erklärt wurden, zu Zahlungen verurteilt. Dass ein Streik von Richtern wegen einzelner Nebenforderungen eines gesamten Forderungspakets für rechtswidrig erklärt wird, nennt Berg die »Rühreitheorie« - ein faules Ei verderbe demnach die ganze Mahlzeit. »Dieser Ansatz ist natürlich eher streikerschwerend und kritisch zu beurteilen.« Das sei aber auch bisher durch die Rechtsprechung vertreten worden, so Berg.

Der ver.di-Justiziar glaubt: »Dass die Entscheidung von interessierter Seite nun als eine dramatische Kehrtwende zu Lasten der Gewerkschaften interpretiert wird, soll vielleicht der Verunsicherung der Gewerkschaftsmitglieder dienen und liegt wahrscheinlich an der irrigen Wahrnehmung, die Gerichte hätten bisher immer die Hand über die Gewerkschaften gehalten. Das stimmt aber so nicht.« Er findet es bedauerlich, dass das Bundesarbeitsgericht nicht dem Ansatz der Vorinstanz gefolgt ist.

Die hatte die Schadenersatzforderungen mit der Argumentation abgelehnt, auch ein rechtmäßiger Streik, ohne die Erhebung der rechtswidrigen Forderungen, hätte den selben Schaden verursacht. Berg meint: »Die Bestätigung dieser Auffassung wäre eine begrüßenswerte Weiterentwicklung des Arbeitskampfrechts gewesen.« Arbeitsrechler Däubler sieht das ähnlich. Er hätte sich eine Unterscheidung zwischen Haupt- und Nebenforderung bei Streiks von den Richtern gewünscht. »Dass jede, auch unbedeutende Forderung bei Verletzung der Friedenspflicht zu einem rechtswidrigen Streik führen kann, halte ich nicht für richtig«, sagte er.

Fakt ist: Gewerkschaften müssen vorsichtig bleiben - vor dem Urteil, ebenso wie danach - und sich absichern, dass Streikinhalte nicht von den Unternehmen angegriffen werden können. Denn obwohl findige Arbeitgeber das ohnehin seit jeher versuchen, dürfte das Urteil des BAG Wasser auf ihre Mühlen sein. Für die Gewerkschaften ist die rechtliche Absicherung jedoch mitunter kniffelig. Die Frage, inwieweit eine Streikforderung in einem noch gültigen Tarifvertrag bereits geregelt ist, oder überhaupt in einem Tarifvertrag geregelt werden kann, ist oft eine Gratwanderung. Entscheidend bleibt in solchen Grauzonen letztlich die Auslegung der Richter. Mit Agenturen

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