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Türkische Opposition als Staffage der Regierungspartei

Erdogan hat seine handzahmen Gegner in die sonntägliche Selbstinszenierung problemlos eingebaut - zu deren Leidwesen nur im Vorprogramm

  • Jan Keetman
  • Lesedauer: 3 Min.
Bei einer Großkundgebung in Istanbul hat sich der türkische Staatschef Erdogan am Sonntag Rückendeckung geben lassen.

In Kasachstan ist es tatsächlich vorgekommen, dass der einzige Gegenkandidat des Präsidenten Nursultan Nasarbajew nach der Wahl gesagt hat, auch er habe natürlich Nasarbajew gewählt. Ganz so weit ist es in der Türkei noch nicht, doch die Führer von zwei Oppositionsparteien scheinen auf dem besten Weg dahin. Allein die kurdisch-linke Demokratische Partei der Völker ist derzeit als politische Gegenkraft erkennbar.

Am besten konnte man die Hilflosigkeit der beiden anderen Parteiführer am Sonntag beobachten. Der Vorsitzende der sozialdemokratisch orientierten Republikanischen Volkspartei (CHP), Kemal Kilicdaroglu, und sein Kollege Devlet Bahceli von der Partei der Nationalistischen Bewegung wurden von Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan in eine eigene Kundgebung eingebaut. Unter dem martialischen Motto »Demokratie und Märtyrer« sollte der Verteidigung der Demokratie gegen die Putschisten vom 15. Juli gedacht werden. Viel war bereits im Vorfeld von nationaler Einheit die Rede.

Die Opposition hatte bei der Niederschlagung des Putsches an der Seite der Regierung gestanden, und Bahceli und Kilicdaroglu meinten wohl, mit ihrem Auftritt müssten sie Erdogan daran erinnern. Es sollte eine überparteiliche Veranstaltung werden, so hatte es ihnen Erdogan versprochen. Insbesondere die CHP hatte darauf gedrungen, dass nur ein Poster von Staatsgründer Atatürk zu sehen sein sollte und nur die türkische Fahne. Auf der einen Seite der Tribüne hing tatsächlich ein riesiges Atatürk-Bild, doch auf der anderen ebenso groß eines von Erdogan.

Die Reden der Oppositionsführer liefen gewissermaßen im Vorprogramm. Später kamen Ministerpräsident Binali Yildirim und Parlamentspräsident İsmail Kahraman, beide von Erdogans Partei und - als Höhepunkt überschwänglich angekündigt - der Präsident, umgeben von einem türkischen Fahnenmeer. Auffällig die vielen Leute mit Stirnbändern und der Aufschrift »Oberbefehlshaber Recep Tayyip Erdogan«.

Kilicdaroglu legte sich in seiner Rede für Demokratie, Laizismus und Pressefreiheit ins Zeug. Nur was hilft das, wenn er darüber schweigt, dass gerade Dutzende von Fernsehkanälen, Radiosendern und Zeitungen per Dekret verboten wurden, dass derzeit im Ausnahmezustand per Dekret regiert wird. Der CHP-Vorsitzende schwieg nicht nur zu Dingen, die ein Oppositionschef kritisieren müsste, er sprach sogar von Freude darüber, dass Regierung und Opposition und, was die Unabhängigkeit der Justiz betrifft, einer Meinung seien.

Das in einem Land, in dem gerade ein Fünftel der Richterschaft innerhalb weniger Stunden entlassen wurde; in dem der Staatspräsident, nachdem das Verfassungsgericht die Freilassung eines Journalisten angeordnet hat, sagt, dass er sich nicht an diesen Spruch gebunden sieht. Es ist nicht das erste Mal, dass die Opposition angesichts eines immer mächtiger werdenden Erdogan meint, ihm zeigen zu müssen, dass sie gar nicht so ist, wie er sie kritisiert. Nur mit der Hilfe von Kilicdaroglus Partei war es im Frühjahr möglich, die Immunität von 152 Abgeordneten aufzuheben. Das Regierungslager hat es ihm damals nicht im mindesten gedankt.

Das zeichnet sich nun wieder ab. Die Regierung will sich nicht an die 30-Tage-Frist halten, innerhalb derer das Parlament über die Notstandsdekrete befinden muss. Damit wird Kilicdaroglu, der eben noch die Stärkung des parlamentarischen Systems gefordert hatte, einmal mehr brüskiert. Die HDP-Vorsitzende Figen Yüksekdag, deren Partei von Erdogan geschnitten wird, sagt dem nationalistischen Bündnis allerdings keine lange Haltbarkeit voraus.

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