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Empathie für den Abschaum

Die Serie »Orange Is The New Black« zeigt Frauen im Gefängnis und in ihrem täglichen Kampf ums Überleben

Frauen im Gefängnis. Als Thema für eine Fernsehserie klingt das nach wie vor nach Tabubruch, weil es mit Sicherheit um emotional abgestumpfte, wenig bis gar nicht empathiefähige und sozial verwahrloste Frauen, meistens Lesben, geht. Es war in den 1990er Jahren, als RTL die Serie »Hinter Gittern - Der Frauenknast« ausstrahlte. Von der Qualität des Drehbuchs, der Charakterzeichnung der Protagonistinnen einmal abgesehen - die Serie war als Soap gedacht -, brach ein solches Genre damals mit deutschen TV-Konventionen. Die Frau im Fernsehen war nicht mehr die liebende Hausfrau, der ruhige, ausgleichende Pol zwischen erfolgreichen, berechnenden oder ausgebrannten Männern. Frauenfiguren, erst recht im Serienformat, waren zu dieser Zeit höchstens keck, niemals laut, vulgär, aggressiv - schon gar nicht lesbisch. So sind die Frauen nur im Knast.

Orange Is The New Black, eine Serie, die mittlerweile in der vierten Staffel beim Streaminganbieter Netflix läuft, fügt dem Genre nun die bisher komplexeste Bearbeitung des Themas hinzu. Authentisch erzählt OITNB die Geschichte von Piper Kerman, auf deren Aufzeichnungen der Plot beruht. Kerman saß im Jahr 2004 für 13 Monate in Haft, weil sie für ihre damalige Freundin Drogengeld wusch und Tausende Dollar in andere Länder schmuggelte.

Die Knastsoziologie der Serie ist nicht auf die sonst typischen zwei Charaktere begrenzt. Lichtfield, ein fiktives US-Gefängnis, teilt sich nicht in die unmenschlich kalte Anführerin und den harmlosen Rest an Mitläufern. Piper Chapman (Taylor Schilling), wie sie in der Serie heißt, ist eine absolute Exotin im Gefängnis. Sie ist behütet in einer schicken Bostoner Gegend aufgewachsen; die Nachbarn Ärzte, Anwälte, Lehrer. Wohl wissend, dass ihr sozialer Status sie im Knast zum leichten Opfer macht, entwickelt sich Piper über die ersten Staffeln hinweg zur knallharten Insassenkönigin. Sie steigt ins gefängnisinterne Schmuggelsystem ein und baut ein Schlüpferversandimperium auf, das ihr Bruder von außerhalb leitet. Zu Beginn ist sie extrem in sich zurückgezogen, versucht mit Rationalität ihre Haft erträglicher zu machen und bereitet sich mit Ratgebern auf ihren Gefängnisaufenthalt vor. Mit jeder Staffel aber passt sie sich besser an ein System, in dem sich jede nur auf sich selbst verlassen kann. So liefert sie am Ende der dritten Staffel ihre Geschäftspartnerin Stella (Ruby Rose) ohne Skrupel den Wärtern aus, weil sie sie um Geld betrogen hatte. Sie schiebt ihr Drogen unter, was sie in die gefürchtete Einzelhaft bringt.

In der aktuellen Staffel sucht Piper, die sich inzwischen reichlich Feinde gemacht hat, Schutz beim weiblichen Chapter der Arian Brotherhood. Ihre bürgerlich liberale Überzeugung ist nur so viel Wert, wie das eigene Überleben im Knast.

Dramaturgisch bietet das Gefängnisumfeld Autorin und Produzentin Jenji Kohan (Weeds) unendliche Möglichkeiten, ständig wechselt der riesige Cast der Serie, Randfiguren rücken für ein paar Folgen in den Vordergrund, werden dann genauso schnell fallen gelassen und andere rücken nach. Einziger Fixpunkt ist Piper, die allerdings in der zweiten Staffel auch nur Randfigur ist.

Die Insassinnen, allesamt Abbild der Ausgeschlossenen: Latinas, Afroamerikanerinnen und durchgeknallte Junkies, der White Trash. Keiner der Charaktere, die Kohan in einzelnen Rückblenden in den Vordergrund rückt, bleibt dabei in ihren Handlungen irrational und unverstanden. So gibt sie ihnen die Menschlichkeit zurück, die der Knast ihnen von der ersten Minute an nimmt. Selbst den abstoßendsten Figuren ringt Kohan einen Rest Sympathie ab, indem sie ihre Geschichten und Motivationen als das darstellt, was sie sind: komplex. Menschen sind hier stets Opfer der Umstände, in denen sie leben. Einzig masochistische und armselige Wärter bleiben das, was sie sind.

Orange Is The New Black zwingt seine Zuschauer, verwahrloste oder hundsgemeine Menschen als wahrhaftig anzunehmen. Wie bei einer Schulhofprügelei unbeteiligt danebenzustehen und zuzusehen ist unmöglich.

Alle vier Staffeln laufen bei Netflix.

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