Auf gute Nachbarschaft

Der Nordflügel der Gerhart-Hauptmann-Schule in Kreuzberg ist nun offizielle Notunterkunft

  • Johanna Treblin
  • Lesedauer: 3 Min.

Malaz Selman, Fawaz Shamdi und ihre beiden kleinen Kinder sind am Montagvormittag umgezogen. Nach Monaten in einer Turnhalle in der Kreuzberger Geibelstraße sind sie nun in die neue Notunterkunft der Johanniter in der ehemaligen Gerhart-Hauptmann-Schule in der Ohlauer Straße verlegt worden. Endlich. »Wir sind seit neun Monaten in Deutschland«, erzählt Shamdi. In der Turnhalle habe er keine Ruhe finden können. »Ich bin mit den Nerven total am Ende. Ich habe Bluthochdruck, und wenn das so weiter gegangen wäre, hätte ich wahrscheinlich auch noch Herzprobleme bekommen.« Er tippt sich auf die linke Brust.

Hier haben es die elf Familien - insgesamt 42 Menschen - besser: Noch hat jede Familie ihr eigenes Klassenzimmer. In den kommenden Tagen soll die Unterkunft, die für 109 Menschen ausgelegt ist, allerdings langsam gefüllt werden. Dann kann es sein, dass zwei Familien zusammengelegt werden. Darüber fühlen sich die Geflüchteten falsch informiert: »Man hatte uns gesagt, dass jede Familie einen eigenen Raum bekommt.«

Froh über den Auszug aus der überfüllen Turnhalle, in der es kaum Privatsphäre gab, ist das Paar aus Syrien trotzdem. Wie auch grundsätzlich darüber, in Deutschland zu leben. »Überall hat man uns die Türen zugeschlagen, aber Deutschland hat uns aufgenommen«, sagt Selman. Nun suchen sie nach einer Wohnung und haben bereits gemerkt, dass das nicht so einfach ist. Allein das Geld für die Kaution könnten sie kaum aufbringen, sagt Selman. »Wir haben alles in unsere Flucht investiert.«

Beim Umzug geholfen hat den Flüchtlingen aus der Geibelstraße die Initiative »Kreuzberg hilft«. Am Samstag brachten sie bereits gemeinsam die in den vergangenen Monaten gespendeten Spielsachen in die Ohlauer Straße und richteten dort ein Spielzimmer ein.

Weil die Sonne scheint, sind die meisten Bewohner auf dem Hof, einige spielen auf dem Sportplatz, der zum Gelände gehört, Fußball.

Der Vertrag der Johanniter für den Nordflügel der Schule läuft zunächst bis Ende des Jahres. Langfristig soll aus der Notunterkunft ein Internationales Flüchtlingszentrum werden: zum einen eine Gemeinschaftsunterkunft, in der die Bewohner auch selbst kochen können. Zum anderen sollen auch andere Einrichtungen auf das Gelände ziehen, beispielsweise soziale, juristische und gesundheitliche Beratungsangebote. Zum Teil gibt es die jetzt schon - im kleinen Rahmen. Die Johanniter haben ein Sanitätszimmer eingerichtet, und eine Hebamme soll regelmäßig Sprechstunden abhalten.

Die Gerhart-Hauptmann-Schule wurde 2012 berlinweit bekannt, als Geflüchtete aus ganz Deutschland, die zuvor ein Protestcamp am Oranienplatz aufgebaut hatten, das Gebäude besetzten. Ein Räumungsversuch zwei Jahre später wurde nach tagelangem Ringen durch eine Einigung zwischen Bezirk und Besetzern gestoppt. Nun will die Grünen-Bezirksbürgermeisterin Monika Herrmann die übrigen Bewohner - je nach Quelle sind es zwölf, 18 oder 24 - doch noch räumen lassen. »Die Männer waren zu keinem Kompromiss bereit«, sagt Herrmann. Ihre Besetzung aufgeben wollen sie nur, wenn sie einen Aufenthaltstitel erhalten. »Den können wir ihnen unter der jetzigen Regierung aber nicht geben.« Herrmann hofft nun auf die Wahl. »Ich erwarte, dass eine neue Regierung eine andere Haltung einnimmt.«

Die Johanniter setzen derweil auf gute Nachbarschaft. »Wir haben uns ihnen vorgestellt und sie informiert, was hier passiert«, sagt Sprecherin Juliane Flurschütz. Sie habe sie als »nett und zugewandt« wahrgenommen. Auch wenn die Johanniter nicht für die Südflügelbewohner zuständig sind, unterstützen wollen sie sie doch. »Sie sind eingeladen, unsere Gemeinschaftsangebote zu nutzen.«

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