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Kluge Stoffe auf die Bühne berserkern

»Was vom Vorhang übrig bleibt« - die nd-Serie zur Bilanz der Theaterspielzeit 2015/16. Teil 5: Parkaue

  • Christian Baron
  • Lesedauer: 3 Min.

Wenn aus einem Provisorium ein Dauerzustand zu werden droht, dann muss das den Betroffenen nicht immer zum Nachteil gereichen. Das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland sollte etwa ursprünglich nur als Platzhalter dienen, bis eine Verfassung in Kraft tritt. Nun, dazu ist es bekanntlich nie gekommen, weil der Text des Grundgesetzes alle Humanität enthält, die ein demokratischer und sozialer Rechtsstaat braucht. Die Bewertung der praktischen Umsetzung dieser Menschlichkeit muss freilich ernüchtern.

Da fällt es doch wesentlich leichter, jene kleineren der unfreiwillig in die Länge gezogenen Provisorien zu feiern, die dem menschlich-allzumenschlichen Problem der Planungsfehler zu verdanken sind. Zum Beispiel das Theater an der Parkaue: Vor einem Jahr verließ es sein sanierungsbedürftiges Domizil in Lichtenberg und fand im Prater auf der Kastanienallee in Prenzlauer Berg ein Obdach. Von hier aus absolvierte das traditionsreiche Kinder- und Jugendtheater die Saison 2015/16 als Reisespielzeit. Und auch als solches blieb es sich im vergangenen Jahr treu. Humorvoll sollte ein jugendliches Publikum mithilfe aktualisierter Klassiker und teilweise besonders schrill dargebotener moderner Inszenierungen mit gesellschaftlich relevanten Themen der Gegenwart konfrontiert werden. Schon zum Auftakt stand ein Dreistünder zu Buche, der es in sich hat: »Als ich meinen Eltern meinen Freund … Vom Ende der Kindheit« beinhaltet gleich sechs Dramen auf einmal, und allesamt kreisen sie in unterschiedlicher Qualität um die ewig Kalauer generierende »Vater der Braut«-Frage: »Wie hast du’s mit dem Schwiegersohn?«

Nach so viel Klamauk stand jenseits der Vorstellungen für die Jüngsten viel auf dem ersten Blick schwere Kost auf dem Programm, die sich auf dem Papier so las, als wolle Intendant Kay Wuschek die Berliner Deutschlehrer glücklich machen und samt Schülerschar unbedingt in seine Hallen locken. Dürrenmatts »Physiker« bleiben in der Inszenierung von Ivan Panteleev erstaunlich blass, weil die Figuren mit ihrem reduzierten Text und ihrem begrenzten Spiel zu Hülsen verkommen, die weder zu belustigen noch zu erschüttern vermögen.

Aus den »Irrfahrten des Odysseus« wiederum machten Harriet Maria Meining und Peter Meining in den Räumen der Deutschen Oper eine ausgeflippte Revue zwischen Lady Gaga-Exzentrik und i-Pad-Ästhetik, die den Pädagogen bestenfalls aufgrund des moralinsauer umgetexteten Finales gefallen dürfte.

Wie man mit einem künstlerisch ansprechenden Zugriff ein Textende dem Publikum altersgerecht serviert, zeigen dagegen Schillers »Räuber« unter Leitung des Intendanten persönlich. Mit so viel goldglänzendem Prunk der Requisite, so viel Power im Ensemble und so vielen Einfällen der Regie kommt der Sturm und Drang hier binnen zweieinhalb Stunden zur Geltung, dass man sich fragt, warum dieses kraftstrotzende Stück nicht viel häufiger in jugendkompatibler Manier auf die Bühnen berserkert wird.

Weitere kluge Stoffe über Gewalt an der Schule (»Böse Kinder«) und das Erwachsenwerden (Wolfgang Herrndorfs »Bilder deiner großen Liebe«) zeigen zur Genüge, warum das Theater an der Parkaue 2015/16 eine Auslastung von 90 Prozent aufweisen konnte und sich bei den Zuschauern die Schulgruppen und die Einzelbesucher letztlich doch die Waage hielten: Programmatisch beweist das Team um Kay Wuschek in den vergangen Jahren immer wieder ein gutes Händchen.

Ganz anders präsentiert sich die Bürokratie bei der Sanierung: Eigentlich sollte der Umbau der angestammten Spielstätte bereits in diesem Sommer fertig werden. Doch daraus wird nichts. Die vor drei Jahren noch auf 12,7 Millionen Euro geschätzten Kosten werden deutlich überschritten; die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung geht mittlerweile sogar von insgesamt knapp 18 Millionen Euro aus, die es braucht, um das marode Gebäude auf Vordermann zu bringen.

Auch 2016/17 wird das Parkaue-Ensemble also mit wechselnden Ausweichquartieren arbeiten müssen. Oder dürfen, denn die in der abgelaufenen Saison als Spielorte dienende Tischlerei der Deutschen Oper, das Kulturhaus Karlshorst und der Prater bieten ungeahnte räumliche Möglichkeiten, die den in den Köpfen der Regisseure vielleicht schon feststehenden Abenden eine Improvisation aufzwingen, die aus dem Provisorium einen Glücksfall machen könnten.

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