»Frankenstein« auf Netflix: Wer ist das Monster?

Guillermo del Toro verfilmt »Frankenstein« als opulentes Werk, setzt eigene Akzente, kann aber nicht immer überzeugen

  • Florian Schmid
  • Lesedauer: 4 Min.
Der von Hybris getriebene Wissenschaftler Victor Frankenstein (Oscar Isaac) geht bei seiner Forschung rücksichtslos über Leichen.
Der von Hybris getriebene Wissenschaftler Victor Frankenstein (Oscar Isaac) geht bei seiner Forschung rücksichtslos über Leichen.

»Du bist das Monster!«, sagt gegen Ende der neuen »Frankenstein«-Verfilmung von Guillermo del Toro der sterbende, jüngere Bruder William (Felix Kammerer) zum älteren Victor Frankenstein (Oscar Isaac). Der gerät daraufhin in Rage und jagt seiner Schöpfung (Jacob Elordi), dem vermeintlichen Monster, das in der Populärkultur gemeinhin seinen Namen trägt, bis zum Nordpol hinterher. Guillermo del Toro hat sich nach eigenen Angaben mit der Filmadaption des Frankenstein-Stoffes einen Traum erfüllt. Für ihn ist der 1816 von der 18-jährigen Mary Shelley während einer Reise in die Schweiz entworfene Roman (übrigens die erste Science-Fiction der Literaturgeschichte) »das Teenager-Buch schlechthin«. Wahrscheinlich bleibt der mexikanische Erfolgsregisseur, der schon viel Hollywood-Trash, aber auch gehaltvolle Filme (»Pans Labyrinth« und zuletzt »Pinocchio« als antifaschistische Erzählung) gemacht hat, in vielen Punkten weit näher an der Romanvorlage, als das bisherige Verfilmungen taten. Denn in Mary Shelleys Roman ringt die nicht akzeptierte, von allen ausgeschlossene und aus Leichenteilen zusammengesetzte Monsterfigur um Bildung und soziale Teilhabe. Der von Hybris getriebene Wissenschaftler Victor Frankenstein, der den Tod überwinden will und bei seiner Forschung rücksichtslos über Leichen geht, ist wie schon eingangs erwähnt, das eigentliche Monster.

Del Toros »Frankenstein« ist wie zu erwarten, eine opulente, bildgewaltige, von Hollywood-Stars bevölkerte Inszenierung, die zweieinhalb Stunden dauert und ihre Längen hat. Der Regisseur hat einiges an der Handlung umgeschrieben und ganz neue Figuren eingeführt. Allen voran Christoph Waltz als deutschen Waffenfabrikanten Harlander, der Frankensteins Forschungen fördert und dessen Nichte Elizabeth (Mia Goth) die Verlobte des jüngeren Bruders und die Geliebte des mit Leichenteilen herumbastelnden Arztes wird. Dessen Arbeit erinnert bildästhetisch stark an Gunther von Hagens »Körperwelten«. Dazu gibt es noch einen finster-monumentalen, an der Küste gelegenen Turmbau mit steampunkartigen Aufbauten, um die geheimnisvolle Elektrizität einzufangen. Dieses Anfang des 19. Jahrhunderts populäre Thema war auch Gegenstand diverser Diskussionen des prominenten romantisch-revolutionären Shelley-Byron-Kreises am Genfer See während der Niederschrift des Romans. Schließlich erweckt Frankenstein seine Kreatur zum Leben, hält sie hinterher in Ketten im Keller wie einen Gefangenen und stellt erbost fest, dass seine Schöpfung nicht immer tut, was er will.

Auch wenn Frankensteins Kreatur im Roman weint, laufen ihm in Guillermo del Toros Adaption etwas zu häufig Tränen über die Wangen.

Der Film gliedert sich in zwei Hauptteile, die Erzählung Frankensteins und die Erzählung seines Geschöpfs, das sich in dieser Hollywood-Adaption regelrecht von dem ihm sonst zugeschriebenen Monster-Status emanzipiert. Deshalb wird dem namenlosen, zum Leben erweckten Wesen viel Raum gegeben. Es wandert durch Wälder, freundet sich mit Hirschen an, hat einen blinden alten Mann als eine Art Lehrmeister, um von der Bibel bis zu Miltons »Paradise Lost« viele zu Beginn des 19. Jahrhunderts wichtige Klassiker zu studieren und später seinem Schöpfer als gebildetes Wesen gegenüberzutreten. Das »Monster« will eine Gefährtin, ein Wunsch, dem Frankenstein im Roman sogar erst nachgibt, der im Film aber sofort verweigert wird. Außerdem deutet Guillermo del Toro in seiner Adaption ein gegenseitiges Begehren von Frankensteins Schöpfung und Elizabeth an, was aber wie ein billiger Aufwasch des Motivs der schönen Frau und der Bestie ist, ganz ähnlich wie bei »King Kong« oder »The Beauty and the Beast«. Dazu driftet der Film mit fortschreitender Dauer in eine geradezu gefühlsduselige Schmonzette ab. Auch wenn Frankensteins Kreatur im Roman weint, laufen ihm in Guillermo del Toros Adaption etwas zu häufig Tränen über die Wangen.

Misslungen ist diese Filmadaption eines Stoffes, der schon zigmal im Kino zu sehen war, deshalb aber nicht. Die Erwartungen an den auf fantastische Stoffe spezialisierten Regisseur muss einfach hoch sein. Also ist die Frage, ob del Toro mehr aus dem Stoff hätte herausholen können, durchaus berechtigt. Zumindest rückt der Film in gewisser Weise ein Missverständnis zurecht. Denn Frankensteins Kreatur wurde in der Populärkultur der vergangenen Jahrzehnte genauso verzerrt und ausgrenzend dargestellt, wie sie im Roman von ihrem Schöpfer und den ängstlichen Menschen zum Fremden, Anderen und Gefürchteten gemacht wird und genau darunter leidet. Anstatt weiter diese Lesart zu reproduzieren, erzählt del Toro ausführlich die Geschichte aus der Sicht der Kreatur. Und ganz ähnlich wie in seiner Pinocchio-Adaption, in der die Holzpuppe am Ende kein Menschenjunge werden muss, verändert er auch grundlegend die finale Auflösung in »Frankenstein«. Die Kreatur muss nicht sterben und geht fast versöhnlich im ewigen Eis der Arktis einer strahlenden Sonne entgegen.

»Frankenstein«, ab 7.11. auf Netflix

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