Constanza Macras: Und tschüüüs

Tanz den Vorkrieg: Constanza Macras verabschiedet sich mit »Goodbye Berlin« von der Volksbühne

Dit is Berlin. Jedenfalls sieht es, aus der Ferne betrachtet, ganz so aus.
Dit is Berlin. Jedenfalls sieht es, aus der Ferne betrachtet, ganz so aus.

Ein wenig liest sich der schnöde Titel – »Goodbye Berlin« – von Constanza Macras’ jüngstem Tanzabend wie eine trotzige Ansage nach den Verlautbarungen, denen zufolge sie künftig unter der Leitung von Matthias Lilienthal nicht mehr an der Berliner Volksbühne arbeiten soll. Eigentlich kein ungewöhnlicher Vorgang, dass Regisseure und Choreografinnen mit der künstlerischen Leitung unter Umständen wechseln. Macras’ Klage, man nehme ihr das Berliner Publikum weg, war dennoch kaum zu überhören. Dabei ist die aus Argentinien stammende Künstlerin, möchte man meinen, bestens im Geschäft. Neben den großen Produktionen mit ihrer Tanzkompanie Dorky Park entwickelt sie auch Choreografien für Hollywood, etwa für den Starregisseur Giorgos Lanthimos.

Vordergründig bezieht sich der Titel aber natürlich auf Christopher Isherwoods schillernden Roman »Leb wohl, Berlin« – im englischen Original »Goodbye to Berlin« –, der mit der Musicaladaption und mehr noch mit deren Verfilmung unter dem Namen »Cabaret« weltberühmt wurde. Das autobiografisch geprägte Buch zeigt die Kulturmetropole in den frühen 30er Jahren mit all ihrer Vitalität und ihrem Hedonismus, die im schwer begreifbaren Kontrast zum Vormarsch der Faschisten stehen.

Macras vertanzt nun das irre Leben in den Weimarer Jahren. Nicht ohne Bilder von der Berliner Clubkultur 2025 dazuzustellen. Pailletten damals, Harness heute. Dass die wilden Zwanziger (und ihre Ausläufer in den anbrechenden dreißiger Jahren) eine endlos scheinende Projektionsfläche sind, ist weit bekannt. Aber auch die Gegenwart zwischen BDSM-Partys und chemischen Drogen aller Art stellt sich wohl nur für einen denkbar kleinen Kreis von Expats zwischen 20 und 30 mit entsprechendem Familienvermögen tatsächlich so dar wie hier gezeigt. (Auch wenn ein mehrfach heruntergefahrener Spiegel, in dem das Publikum sich selbst erkennen kann, einen glauben machen soll, das Bühnengeschehen hätte etwas mit einem selbst zu tun.)

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Die endlose Aneinanderreihung von Szenen von gestern und heute in dieser Nummernrevue hat etwas merkwürdig Didaktisches an sich. Schließlich kommt die Inszenierung aber doch zu ihrem entscheidenden Moment: Nicht allein in ihrem Hedonismus gleichen sich die Zeiten, nein, auch was danach kam, wird sich erneut ereignen. Das rauschhafte Leben vor gut 90 Jahren war die Folie zum Aufstieg der Nazis. Und die Gegenwart kommt nicht minder queer und bunt und lustbetont daher, während die AfD einen Erfolg nach dem anderen einfährt.

Eine These also hat dieser Tanzabend immerhin, die über zweieinhalb Stunden ausgebreitet wird, allerdings eine von frappierender Banalität. Die ständige Gleichsetzung der Weimarer Republik mit der, zugegeben etwas beschädigten, Demokratie der Jetztzeit verfolgt einen tinitusgleich auf Schritt und Tritt. Was das vermeintlich schrille Leben in Berlin von damals und das von jetzt damit zu tun haben, bleibt allerdings unklar. Dass diese Stadt wieder in Trümmern liegen wird, das wird dem Publikum zumindest mit dem inszenatorischen Holzhammer mittels Bildprojektion vorgeführt.

Nächste Vorstellungen: 6., 29.11. und 13.12.
www.volksbuehne.berlin

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