Für Geringverdiener zählt Elterngeld als Einkommen

Urteile im Überblick

  • Lesedauer: 5 Min.

Das entschied das Bundessozialgericht (BSG) in Kassel mit Urteil vom 26. Juli 2016 (Az. B 4 AS 25/15 R). Damit ist ein Vater mit dem Versuch gescheitert, die Regeln zum Elterngeld für Hartz-IV-Empfänger zu kippen.

Die Klage des Vaters wurde von den höchsten deutschen Sozialrichtern als unzulässig verworfen, so dass sich der vierte Senat inhaltlich nicht mit dem Thema auseinandersetzen musste Die gesetzlichen Anforderungen seien nicht erfüllt, sagte der Vorsitzende Richter.

Auch vor dem Landessozialgericht (LSG) Niedersachsen-Bremen und dem Sozialgericht Lüneburg war der Mann erfolglos geblieben. Die Regelungen zur Berücksichtigung des Elterngeldes als Einkommen seien mit höherrangigem Recht vereinbar, so das LSG.

Auch bei Geringverdienern wird das Elterngeld bei der Berechnung des Kinderzuschlags als Einkommen angerechnet (Az. B 4 KG 2/14 R). Wie das BSG entschied, verstößt die Regelung nicht gegen das Recht auf ein menschenwürdiges Existenzminimum.

Eine Familie aus dem Emsland hatte bis Ende 2010 den Kinderzuschlag erhalten. Nach einer Novelle des Elterngeldgesetzes lehnte die Familienkasse die Zahlung ab Anfang 2011 aber ab, weil geregelt wurde, dass das Elterngeld angerechnet werden muss.

Das Sozialgericht Osnabrück und das LSG Niedersachsen-Bremen hatten geurteilt, dass die Familie keinen Anspruch auf den Kinderzuschlag habe, weil mit der Zahlung von Elterngeld keine Bedürftigkeit mehr bestehe. Dem folgte das BSG und wies die Revision der Familie gegen diese Urteile zurück.

Der Anwalt der Familie hatte argumentiert, das Mindestelterngeld in Höhe von 300 Euro sei keine Entgeltersatzleistung, sondern diene der Anerkennung der Erziehungs- und Betreuungsleistung.

Auch das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe hat sich bereits mit dem Elterngeld auseinandergesetzt. Eine Verfassungsbeschwerde gegen die Stichtagsregelung zur Gewährung von Elterngeld war jedoch ebenso erfolglos wie die Beschwerde gegen das Elterngeld als sogenannte Einkommensersatzleistung. dpa/nd

Keine abschlagsfreie Rente nach Arbeitslosigkeit

Arbeitslosengeldbezug zwei Jahre vor Rentenbeginn wird nicht als Versicherungszeit für die abschlagsfreie Rente mit 63 anerkannt.

Das entschied das Landessozialgericht Baden-Württemberg am 22. Juli 2016 (Az. L 9 R 695/16). Damit gab es der Deutschen Rentenversicherung Recht, die den Antrag eines Versicherten abgelehnt hatte. Damit werde zu Recht verhindert, dass zulasten der Sozialversicherung eine »faktische Rente mit 61« eingeführt werde.

Seit 1. September 2014 ist es Arbeitnehmern möglich, bereits mit 63 Jahren abschlagsfrei in Rente zu gehen, wenn sie mindestens 45 Beitragsjahre in der Rentenversicherung aufzuweisen haben.

Der betroffene Versicherte hatte sein Arbeitsverhältnis mit 60 Jahren beendet und ging in die Arbeitslosigkeit. Zu dem Zeitpunkt fehlten ihm noch 15 Monate bis zu den erforderlichen 45 Jahren. Sein Antrag auf Altersrente für besonders langjährig Versicherte, die »Rente mit 63«, wurde abgelehnt. Er erhielt stattdessen eine Rente mit Abschlägen.

Das Gericht stellte fest, dass eine Ausnahme von dieser Regelung nur dann bestehen könne, wenn der Arbeitgeber des Betroffenen Insolvenz angemeldet hatte oder eine vollständige Geschäftsaufgabe stattfand. Dies sei bei dem klagenden Versicherten nicht der Fall gewesen. epd/nd

Anspruch vom Jobcentern auf Auskunft über Einkommen begrenzt

Das Bundessozialgericht (BSG) hat den Auskunftsanspruch von Jobcentern gegenüber unterhaltspflichtigen Eltern eingeschränkt.

Bei getrennt lebenden Eltern, die sich vor dem Familiengericht auf Zahlung von Kindesunterhalt geeinigt haben, kann das Jobcenter den Vater später nicht zur Auskunft über sein Einkommen und Vermögen verpflichten, urteilte das Bundessozialgericht am 23. Juni 2016 (Az. B 14 AS 4/15 R).

Im konkreten Fall hatte ein Vater aus Leipzig regelmäßig für seinen minderjährigen Sohn Kindesunterhalt an seine Ex-Partnerin bezahlt, die Hartz IV bezog. Die Unterhaltshöhe war zuvor im Vergleich vorm Familiengericht festgelegt worden.

Das Jobcenter Leipzig war am Vergleich aber nicht beteiligt und unterstellte, dass der Vater womöglich zu wenig Geld für die Versorgung des Kindes überwies. Denn, so argumentierte die Behörde, in einem zivilgerichtlichen Vergleich könne alles Mögliche vereinbart werden. Per Bescheid verlangte das Jobcenter, dass der Vater Einkommen und Vermögen offenlegt.

Der sah das nicht ein. Er zahle regelmäßig den festgelegten Unterhalt, betonte der Kläger. Der Einkünftefragebogen des Jobcenters sei zudem viel zu umfangreich. Es liege eine »Ausforschung auf Vorrat« vor. Er verwies zudem darauf, dass das Jobcenter die Möglichkeit gehabt hätte, sich am familiengerichtlichen Verfahren zu beteiligen. So habe es die Behörde versäumt, Informationen über seine Einkünfte zu erhalten.

Dieser Sichtweise folgte auch das BSG und verwies auf das informationelle Selbstbestimmungsrecht des Klägers. Sofern das Jobcenter Auskünfte benötige, stehe der Zivilweg offen. Per Bescheid könne es hier keine Informationen verlangen, befand das Gericht. epd/nd

Hartz IV auch bei Zweifeln an der Erwerbsfähigkeit

Hilfebedürftige Menschen dürfen nach einem Gerichtsurteil nicht zwischen die Mühlen von Sozialamt und Jobcenter geraten. Zweifelt ein Jobcenter an der Erwerbsfähigkeit eines Hartz-IV-Antragstellers, darf es nicht einseitig die Leistung verweigern und auf Hilfe vom Sozialamt verweisen.

So urteilte das Landessozialgericht (LSG) Nordrhein-Westfalen in Essen am 23. Juni 2016 (Az. L 9 SO 427/15 B ER). Das Jobcenter muss danach erst einmal in Zusammenarbeit mit dem Sozialamt die jeweilige Zuständigkeit klären.

Damit kann ein seit vielen Jahren in Deutschland lebender Italiener vorerst weiter Hartz-IV-Leistungen beanspruchen. Das Jobcenter wollte kein Arbeitslosengeld II zahlen und verwies auf ein medizinisches Gutachten, wonach der Italiener gar nicht arbeitsfähig sei. In diesem Fall könne er nur Sozialhilfe beanspruchen, argumentierte die Behörde. Doch das Sozialamt der Stadt Herne lehnte auch existenzsichernde Leistungen ab.

Im Eilverfahren entschied das LSG, dass das Jobcenter bis zur Klärung der Arbeitsfähigkeit erst einmal Hartz-IV-Leistungen zahlen muss. »Durch diese gesetzliche Verpflichtung soll verhindert werden, dass ein Antragsteller bei fraglicher Erwerbsfähigkeit zwischen die Stühle gerät und gar keine Leistungen, weder vom Jobcenter noch vom Sozialamt, erhält«, erklärte das LSG.

Danach dürfe das Jobcenter Leistungen nicht einfach ablehnen, sondern müsse mit dem Sozialamt »vertrauensvoll zusammenarbeiten«. Im Zweifel über die Erwerbsfähigkeit müsse das Jobcenter ein Gutachten des Rentenversicherungsträgers einholen, so dass auf diesem Wege die Zuständigkeit geklärt wird. Im Streitfall habe das Jobcenter weder die Zusammenarbeit mit dem Sozialamt gesucht noch ein Gutachten der Rentenversicherung angefordert. epd/nd

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