Auf die Luftlinie kommt’s an

Patienten und Ärzten haben über die Versorgung in Thüringen auseinandergehende Ansichten

  • Sebastian Haak, Erfurt
  • Lesedauer: 3 Min.

Aus Sicht der Kassenärztlichen Vereinigung Thüringen (KVT) gibt es im Freistaat im Großen und Ganzen nicht nur keinen Ärztemangel. Die ambulante medizinische Versorgung der Menschen sei gerade auch in den ländlichen Regionen Thüringens sogar »beispielhaft für die öffentliche Daseinsvorsorge«, sagt die Vorsitzende der KVT, Annette Rommel. »So dicht wie das Netz der Hausärzte ist nur das Netz der Kindertagesstätten.« Zu Schulen oder Einkaufsmärkten müssten die Menschen nach einer aktuellen Erhebung der KVT im ländlichen Raum vielerorts weitere Wege zurücklegen als bis zum nächsten Arzt. Die KVT ist die Selbstverwaltung der niedergelassenen Ärzte in Thüringen. Das Bild, das viele Patienten von der medizinischen Versorgung haben, bleibt allerdings ein anderes.

Nach Angaben von Rommel hat es kein Thüringer weiter als zehn Kilometer, um zum nächsten Arzt zu kommen. Auf Nachfragen räumt sie allerdings ein: Gerechnet sind diese zehn Kilometer als Luftlinie. Außerdem gebe es keine Garantie dafür, dass der nächstgelegene Arzt einen Patienten auch behandelt - weshalb viele Menschen gerade im ländlichen Raum deutlich mehr als zehn Kilometer zurücklegen müssen, um einen Arzttermin wahrnehmen zu können. Aus Suhl gibt es beispielsweise seit Jahren Meldungen, dass Menschen bis nach Meiningen, Coburg und teilweise Würzburg fahren, weil sie in der Stadt keinen Augenarzt-Termin bekommen. Ähnliche Meldungen gibt es von Hautarzt-Patienten aus Schmalkalden, für die der nächst gelegene Arzt dieser Fachrichtung in Bad Liebenstein oder Meiningen sitzt. Die entsprechenden Strecken sind etwa zwanzig bis 130 Kilometer lang.

Trotzdem beharrt Rommel darauf, dass die ambulante medizinische Versorgung in Thüringen sehr gut sei. Zudem lehne kein Arzt in Thüringen einen Patienten ab, wenn dieser dringend Hilfe benötige. Dass manche Ärzte keine neuen Patienten zur nicht-akuten Behandlung aufnehmen wollen, sei dagegen richtig und auch gesetzlich möglich. Der Landesgeschäftsführer der Barmer GEK, Hermann Schmitt, begrüßt die Darstellung der KVT, die »eine neue Sachlichkeit in die Debatte über den vermeintlichen Ärztemangel in Thüringen« bringe. »Die Daten zeigen eindrücklich: Der Hausarzt sitzt in Thüringen zwar nicht mit im Haus, doch er ist nie weit weg«, sagt er.

Wie auch Rommel erklärt die Abteilungsleiterin Sicherstellung der KVT, Heidrun Becher, die Zulassungsmöglichkeiten für Ärzte in Thüringen seien gesetzlich vorgeschrieben. Die KVT könne nicht beliebig viele Ärzten in Thüringen die Genehmigung zum Arbeiten erteilen. Zudem hätten die Mediziner innerhalb der je nach ihrer Fachrichtung unterschiedlichen Planungsbereiche die freie Wahl, wo sie sich niederlassen wollen. »Letztendlich ist der Arzt Freiberufler und entscheidet selber über seinen Praxissitz«, sagt Becher. »Es ist nicht selbstverständlich, dass Ärzte auf dem Land praktizieren.« Die Planungsregionen sind manchmal die Altkreise in Thüringen, manchmal die Landkreise und manchmal auch noch deutlich größere Gebiete.

Um die Ansiedlung im ländlichen Raum für Ärzte attraktiv zu machen, forderte Rommel deshalb, dort müssten gute Rahmenbedingungen geschaffen werden, unter denen Ärzte wie andere Menschen auch dort gerne leben wollten. Dazu gehöre die Versorgung mit schnellem Internet auch auf dem Land sowie ein guter öffentlicher Nahverkehr. Dort, wo es diese Voraussetzungen für ein attraktives Leben auf dem Land schon gebe, müssten die Kommunen diese Angebote noch viel deutlicher herausstellen und auch bewerben, sagt Rommel.

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