Einsteins Weg zum Abitur

Schweizer Forscher dokumentieren das letzte Schuljahr des Nobelpreisträgers

  • Martin Koch
  • Lesedauer: 3 Min.
In Ulm geboren, verbrachte Albert Einstein seine Kindheit in München, wo sein Vater eine kleine Fabrik für Elektrogeräte betrieb. Als die Familie wegen geschäftlicher Misserfolge 1894 nach Mailand übersiedelte, blieb der 15-jährige Albert allein in München zurück, um am Luitpold-Gymnasium sein Abitur abzulegen. Doch der schulische Kasernendrill, der dort herrschte, wurde ihm bald unerträglich. Er ließ sich deshalb vom Arzt der Familie eine »nervliche Erschöpfung« attestieren und brach die Schule vorzeitig ab.
Ein knappes Jahr lebte Albert bei seinen Eltern in Italien, dann fasste er den Entschluss, am Polytechnikum in Zürich ein Ingenieurstudium aufzunehmen. Dies war auch ohne Abitur möglich, sofern man den Eignungstest bestand. Doch Einstein fiel durch. Zwar hatte er in Physik und Mathematik alle Fragen locker beantwortet, in Fächern wie Französisch oder Botanik hingegen waren seine Kenntnisse mangelhaft. Der Rektor des Polytechnikums riet ihm daher, das Abitur (schweizerisch: Matura) an der Kantonsschule in Aarau nachzuholen.
Am 26. Oktober 1895 wurde Einstein hier in die 3. Klasse der technischen Abteilung aufgenommen. Er war der jüngste von anfangs 12 und zuletzt 9 Schülern, die unter anderem in Mathematik, Physik, Chemie, Deutsch, Französisch, Englisch, Italienisch und Religion unterrichtet wurden. Am Turnen und Singen brauchte Einstein nicht teilzunehmen, jedoch ging er freiwillig zum Violinunterricht. Schon nach einem halben Jahr hatte er in allen Fächern seine Rückstände aufgeholt, mit Ausnahme des Französischen, wo er die Note »ungenügend« erhielt. In die 4. Klasse wurde er dennoch versetzt, wenn auch gegen den Protest seines Französischlehrers.
Im September 1896 schlug für Einstein die Stunde der Wahrheit. Er musste zur mündlichen und schriftlichen Abiturprüfung antreten. Während über den mündlichen Teil des Examens nichts Näheres bekannt ist, können seine schriftlichen Arbeiten heute im Staatsarchiv des Kantons Aargau eingesehen werden. Im Fach Französisch erhielt Einstein für einen fehlerhaften und stilistisch unsauberen Aufsatz die Note »ungenügend«. Seine Deutsch-Arbeit über Goethes »Götz von Berlichingen« wurde dagegen mit »gut« bewertet. Die gleiche Note erzielte er im Fach Chemie. Am Ende legte Einstein das beste Abitur seiner Klasse ab, denn für seine Arbeiten in Algebra, Geometrie und Physik bekam er jeweils die Bestnote. Der Schweizer Mathematiklehrer Herbert Hunziker hat nun ein Buch herausgegeben, in dem diese drei Arbeiten im Original abgedruckt sind und überdies ausführlich kommentiert werden.
Eines fällt dabei besonders ins Auge: Bei der Lösung der Geometrieaufgaben verweist Einstein gelegentlich auf den ersten Differenzialquotienten, der seinerzeit im Schulunterricht gar nicht behandelt wurde. »Der Hinweis auf einen Differenzialquotienten ohne gleichzeitige Nennung der zugehörigen Funktion ist jedoch bedeutungslos«, urteilt Hunziker und vermutet daher, dass Einstein mit der ganzen Aktion seine Lehrer nur beeindrucken wollte. Doch auch ohne dieses Imponiergehabe hätte er für seine Geometriearbeit wohl die Bestnote erhalten. Sicherer fühlte sich Einstein im Fach Physik - und kam zur Prüfung demonstrativ eine halbe Stunde zu spät.
Zusammenfassend lässt sich sagen: In den Abiturarbeiten von Einstein sucht man den genialen Wurf vergebens. Andererseits besteht kein Zweifel, dass der spätere Nobelpreisträger bereits in Aarau erste Ideen zur Relativitätstheorie entwickelt hat. Auch dieser Spur gehen Hunziker und seine Kollegen nach. Und sie legen auf verständliche Weise dar, was Relativität in der Physik eigentlich bedeutet. Somit dürfte jeder, der sich für Einsteins Leben und Werk interessiert, das vorliegende Buch mit Gewinn lesen.

Herbert Hunziker (Hg.): Der jugendliche Einstein und Aarau. Birkhäuser Verlag Basel. 205 Seiten, 24 Euro.
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