- Wissen
- Geschichte der Arbeiterbewegung
Zwischen »Bruderkampf« und Einheitsfront
Jüdinnen und Juden in den Zwischengruppen der Arbeiterbewegung am Ende der Weimarer Republik
»Jüdinnen und Juden in den Zwischengruppen der Arbeiterbewegung« – die Beteiligten hätten eine solche Überschrift wohl als abwegig zurückgewiesen, waren sie doch in den als Zwischengruppen bezeichneten Kleinorganisationen der Arbeiterbewegung auch deshalb engagiert, weil dort absolut keine geistige Barriere zwischen Juden und Nichtjuden bestand oder, politisch ausgedrückt: weil der Kampf gegen den Antisemitismus als gemeinsame Aufgabe von Juden und Nichtjuden eine Selbstverständlichkeit war.
Als Zwischengruppen werden im Folgenden solche Organisationen bezeichnet, die sich am Ende der Weimarer Republik von der Kommunistischen Partei Deutschlands (KPD) oder der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands (SPD) trennen mussten, da diese im Kampf gegeneinander ihre Kräfte verzehrten und innerparteilicher Kritik keinen Raum ließen. Die beiden heute noch bekanntesten sind die Kommunistische Partei-Opposition (KPDO) und die Sozialistische Arbeiterpartei Deutschlands (SAPD).
Gegen die »Sozialfaschismusthese«
Die KPDO entstand am Jahresende 1928 als im Selbstverständnis oppositionelle Richtung innerhalb des organisierten Kommunismus. Sie lehnte die abenteuerliche KPD-These, wonach die Sozialdemokratie den linken, »sozialfaschistischen« Flügel des Faschismus bildete, entschieden ab. Die KPDO wurde aufgrund ihrer numerischen Kleinheit (sie zählte nie mehr als 6500 Mitglieder) von ihren Gegnern als »KP-Null« diffamiert. Doch bestand die KPDO zumeist aus politisch erfahrenen Funktionären, die noch durch die revolutionäre und demokratische Tradition der Arbeiterbewegung der Zeit vor 1914, die Antikriegsbewegung und den Spartakusbund Karl Liebknechts und Rosa Luxemburgs geprägt worden waren, darunter Heinrich Brandler, dem Vorsitzenden der KPDO, Paul Frölich, Jacob Walcher und August Thalheimer, dem Parteitheoretiker.
Die Position der KPDO – Verteidigung der bürgerlichen Demokratie als dem besten Kampfboden für die angestrebte Gesellschaft der Freiheit und Gleichheit, den Sozialismus – stand nicht nur im Gegensatz zur Politik der KPD, sondern stellte auch eine Herausforderung für die zweite große Arbeiterpartei, die SPD, dar. Die Gründe für den Misserfolg der KPDO sind eng mit den Ursachen für den Untergang der Republik von Weimar und die Kapitulation der deutschen Arbeiterbewegung vor dem Faschismus 1933 verbunden. Bereits 1928/29, als die Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei (NSDAP) noch ein Randproblem der deutschen Politik zu sein schien, erarbeiteten KPDO-Mitglieder, insbesondere Thalheimer, eine Analyse des Faschismus, die sich von den Einschätzungen der Kommunistischen Internationale und der KPD sehr deutlich unterschied. In Thalheimers Kritik am Programmentwurf der Komintern 1928 und in einer Aufsatzserie für die KPDO-Zeitschrift »Gegen den Strom« finden sich bereits Grundzüge dieser Faschismustheorie. Thalheimer nennt mit Blick auf Italien verschiedene, historisch denkbare Varianten des Faschismus, sieht in ihnen allen aber ein Resultat des zugespitzten Klassenantagonismus im Kapitalismus. Gleichzeitig wendet er sich scharf gegen den Kurs der KPD, wonach die Politik sämtlicher bürgerlicher Parteien zum Faschismus hin tendiere.
»Zeitweilig wurde bei uns alles und jedes Faschismus. Der Faschismus wurde die Nacht, in der alle Klassen- und Parteiunterschiede verschwanden.«
August Thalheimer
Kommunistischer Politiker und Faschismustheoretiker
»Zeitweilig«, so Thalheimer, »wurde bei uns alles und jedes Faschismus. Der Faschismus wurde die Nacht, in der alle Klassen- und Parteiunterschiede verschwanden (…). Faschismus war nicht Hitler, sondern auch die deutsche republikanisch drapierte Großbourgeoisie mit Seeckt an der Spitze. Die Sozialdemokratie wurde ›der linke Flügel des Faschismus‹.« Angesichts einer Krisensituation könne die Bourgeoisie – wie auch 1848/49 in Frankreich – das Erstarken der Arbeiterklasse mit der zeitweiligen Preisgabe der Exekutivgewalt beantworten, um die bürgerliche Eigentumsordnung zu retten, so die Analyse Thalheimers. Dies würde zu einer Verselbstständigung der Staatsmacht führen.
Ihre neuen Träger seien deklassierte Elemente der Bourgeoisie oder des Lumpenproletariats. Für sie werde die Staatsmaschine zur Existenzquelle: »Und so sind die Deklassierten aller Klassen zugleich Fleisch vom Fleische, Bein vom Beine des Privateigentums, der bürgerlichen Gesellschaft, und also fähig, indem sie ihre politische Herrschaft vernichten, zugleich ihre soziale Herrschaft zu verteidigen und zu schützen gegenüber der Klasse und den Klassen, die die revolutionäre Aufhebung der bürgerlichen Gesellschaft, die gesellschaftliche Aufhebung des individuellen bürgerlichen Eigentums, vertreten, des industriellen Proletariats und der proletarischen Teile des Bauerntums.«
Was ist der Faschismus?
Der Faschismus bedürfe, wie der Bonapartismus Napoleons III., eines charismatischen Führers, der als Wohltäter aller Klassen jedem alles verspreche, um eine möglichst breite Massenbasis zu erlangen und zu sichern. Diese Trennung von politischer und sozialer Herrschaft verführte Thalheimer und die KPDO aber nicht zu Generalisierungen, die die Unterschiede zwischen den verschiedenen faschistischen Bewegungen einebneten. Immer wieder verwiesen sie auf die qualitativen Unterschiede zwischen Deutschland und Italien bezüglich der Rolle des Terrors, des Antisemitismus und der außenpolitischen Zielsetzungen.
Die KPDO warnte, Hitler würde, einmal an der Macht, diese nie mehr freiwillig abgeben. Er stehe für die Beseitigung der bürgerlichen Demokratie, die Zerstörung der Arbeiterbewegung, die Vorbereitung auf einen neuen Weltkrieg, für brutale Knechtung der unterworfenen Völker, für eine rassistische Ideologie und Judenhass. Gegen den Faschismus gelte es, die bürgerliche Demokratie und die Republik von Weimar zu verteidigen. »Die bürgerliche Republik ist nicht die Staatsform zur Verwirklichung des Sozialismus (…). Die bürgerliche Republik ist aber der günstigste Ausgangspunkt von allen möglichen bürgerlichen Staatsformen zur Organisation der Arbeiterklasse zum Kampf um die Macht, zum Kampf um den Sozialismus. Wir sind gegen die Revisionsversuche der bürgerlichen Republik ins Reaktionäre, ins Faschistische. Gegen all diese Versuche, gegenüber allen faschistischen Vorstößen müssen und werden wir die demokratische Republik verteidigen.«
Der Beitrag ist ein Vorabruck aus dem kommenden fünften Band der Reihe »Jüdinnen und Juden in der internationalen Linken« der Rosa-Luxemburg-Stiftung. Der von Riccardo Altieri, Bernd Hüttner und Florian Weis herausgegebene Band »Erinnerungen an eine emanzipatorische Allianz« richtet den Blick auf die enge Verbindung der Arbeiterbewegung und der jüdischen Emanzipationsbewegung sowie deren gemeinsamen Kampf gegen Antisemitismus und für eine sozialistische Gesellschaft.
Interessanterweise unterschied sich das Urteil der KPDO über die arabisch-jüdischen Zusammenstöße in Palästina im August 1929 deutlich vom Wunschdenken der KPD. Die Konflikte hatten ihre Ursache im Vordringen der zionistischen Siedler, worin arabische Bauern und Handwerker eine Bedrohung ihrer wirtschaftlichen Existenz erblickten. Der arabische Widerstand dagegen war jedoch nicht progressiv-antikolonial, wie ihn Komintern und KPD deuteten, sondern unter der Leitung des Muftis von Jerusalem, Amin al-Hussaini, weitgehend feudalistisch und reaktionär, was sich im August 1929 in blutigen Überfällen auf betende Juden (die mit dem Zionismus nichts zu tun hatten) an der Jerusalemer Klagemauer äußerte. »Die jüdischen Siedler (…) und die verelendeten arabischen Fellachen schlachten sich jetzt gegenseitig ab«, hieß es in der KPDO-Zeitung »Gegen den Strom«.
Arabische Effendis und rechte Zionisten seien zwar miteinander verfeindet, würden aber in je eigener Weise die Klassengegensätze unter Juden und Arabern in nationalistische Feindschaft umleiten. Die britischen Mandatsbehörden trieben ein doppeltes Spiel, nütze doch die Frontstellung zwischen jüdischen und arabischen Werktätigen nur der Stabilisierung ihrer Herrschaft. Die KPD sei unfähig, dies zu erkennen. »Ohne den Versuch einer marxistischen Untersuchung des Klassencharakters auch dieses Kleinkrieges spricht die ›Rote Fahne‹ (der KPD, Anm. des Autors) unterschiedslos von den Juden, die sie natürlich alle als zionistische Faschisten bezeichnet, und die sie den Arabern, die natürlich alle ›Revolutionäre‹ sind, entgegenstellt.«
KPDO und Leninbund
Zu den Jüdinnen und Juden, die in der KPDO aktiv waren, gehörten neben August Thalheimer (1884–1948) seine Frau Bertha Thalheimer (1883–1959), die Brüder Alfred (1910–1940), Josef (1913–2005) und Theodor Bergmann (1916–2017), Helga Beyer (1920–1941), Leo Borochowicz (1900–1953), Ernst Fabisch (1910–1943), Alfred Futran (1901–1970), Boris Goldenberg (1905–1980), Josef Lang (1902–1973), Eva Laufer (1912–1991), Richard Löwenthal (1908–1991), Dagobert Lubinski (1893–1943), Hans Mayer (1907–2001), Heinz Möller (eigentlich Mojzes Grzyb, 1896–1941), Siegmund (»Siggi«) Neumann (1907–1960), Fritz Opel (1912–1973), Heinz Putzrath (auch organisiert in Neu Beginnen) (1916–1996), Stefan Szende (1901–1985) und Rosi Wolfstein (1888–1987). Boris Goldenberg, Josef Lang, Stefan Szende und Rosi Wolfstein gingen 1931 zur SAPD, Mayer, später ein berühmter Literaturwissenschaftler, stieß 1932 zur KPDO. Richard Löwenthal spielte eine wichtige Rolle in Neu Beginnen, Eva Laufer und Siegmund Neumann kämpften im Spanischen Bürgerkrieg in den Reihen der antistalinistischen POUM, Heinz Möller in der Chinesischen Volksbefreiungsarmee. Alfred Bergmann, Helga Beyer, Ernst Fabisch und Dagobert Lubinski wurden von den Nazis ermordet.
Der schon 1928 aus »linken« KPD-Dissidenten entstandene Leninbund um Hugo Urbahns und anfangs auch Ruth Fischer (1895–1961) und Arkadij Maslow (1891–1941) forderte gleichfalls ein Ende des »Bruderkampfes« zwischen KPD und SPD und die Einheitsfront gegen Hitler. Dies könne dann auch nichtsozialistische Kräfte mitreißen. Als ein Beispiel sei ein Appell des Leninbundes vom August 1932 zitiert. Der erschreckende Wahlerfolg der NSDAP dürfe die Antifaschisten nicht lähmen, hieß es. »325 antifaschistische Stimmen im Reichstag gegen 280 Faschisten, das genügt für ein antifaschistisches Präsidium und eine antifaschistische Regierung. Die Kraft der Arbeiterschaft und des antifaschistischen Mittelstandes gegen die Staatsstreichler und ihre faschistischen Mordbanden, das ist die wichtigste außerparlamentarische Front. Die kann und wird siegen. Arbeiter, wenn ihr wollt!«
Außer Fischer und Maslow, die den Leninbund bald wieder verließen, gehörten Eugen Eppstein (1878–1943), Leo Roth (1911–1937) und Werner Scholem (1895–1940) zu seinen jüdischen Mitgliedern. Eppstein und Scholem wurden von den Nazis ermordet, Roth wurde Opfer des Stalinterrors.
Für die Einheitsfront mit der SPD
Die Linke innerhalb der SPD war aus drei Richtungen entstanden: aus jenem Teil der Unabhängigen Sozialdemokratischen Partei Deutschlands (USPD), der sich 1922 mit der SPD wiedervereinigt hatte, aus jenen Linken vor allem in Sachsen und Thüringen, die 1923 mit Mitgliedern der KPD die Arbeiterregierungen – gegen den Widerstand in beiden Parteien – gebildet hatten, sowie aus der Kommunistischen Arbeitsgemeinschaft Paul Levis (1883–1930), die von der KPD zur SPD gekommen war. Diese Linken sammelten sich um die Zeitschrift »Der Klassenkampf«, deren Herausgeber Max Seydewitz und deren Hauptautor Paul Levi war, der zeitweise auch eine eigene Zeitschrift, die »Sozialistische Politik und Wirtschaft«, herausgab.
Die SPD-Linken kritisierten nach den Septemberwahlen von 1930 den vom Parteivorstand trotz des Regierungsverlusts fortgesetzten Kurs der Zusammenarbeit mit den bürgerlichen Parteien. Diese Zusammenarbeit sei auf Sand gebaut und könne das Bürgertum vom Marsch nach rechts nicht abhalten. Nötig sei vielmehr ein ernsthafter Versuch, die KPD vom »sozialfaschistischen« Irrweg abzubringen und zu einer Einheitsfront mit der SPD zu bewegen.
Zum Bruch kam es, als 1931 neun sozialdemokratische Reichstagsabgeordnete die Zustimmung zu einem (nach 1928 weiteren) Panzerkreuzerbau verweigerten. Sie wurden der Verletzung der Parteidisziplin angeklagt, lehnten eine Unterwerfung unter die Beschlüsse des Vorstands ab und mussten die SPD verlassen. Ihr Ausschluss zog den Austritt oder Ausschluss weiterer SPD-Linker nach sich: Am 4. Oktober 1931 gründeten die Ausgeschlossenen die SAPD, die ein breites Spektrum umfasste. In ihr wirkten Fritz Sternberg (1895–1963), Kurt Rosenfeld (1877–1943) und Walter Fabian (1902–1992) mit sozialdemokratisch orientierten Linken zusammen. Zu ihren prominentesten Mitgliedern gehörte Herbert Frahm, der auch nach Kriegsende seinen Decknamen »Willy Brandt« beibehielt. Eigenen Angaben zufolge zählte die SAPD im Jahr 1932 über 20 000 Mitglieder. Dieser Mitgliederstand konnte jedoch nicht aufrechterhalten werden, nachdem sich die Partei im Juli 1932 an den Reichstagswahlen beteiligt hatte, dort aber im Promillebereich steckengeblieben war.
Unter den Mitgliedern der SAPD war eine ungewöhnlich große Anzahl an Jüdinnen und Juden. Genannt seien neben Fabian, Rosenfeld, Sternberg und den bereits bei der KPDO Angeführten weiterhin Gottfried Ballin (1914–1943), Peter Blachstein (1911–1977), Max Diamant (1908–1992), Hilde Ephraim (1905–1940), Käte Frankenthal (1889–1976), Berthold Jacob (1898–1944), Fritz Lamm (1911–1977), Jakob Moneta (1914–2012), Genia Nobel (1912–1999), Günter Nobel (1913–2007), Martin Pappenheim (1881–1943), Berthold Simonsohn (1912–1978), Wolfgang Yourgrau (1908–1979) und Willi Zahlbaum (1914–2002). Gottfried Ballin wurde in Auschwitz ermordet, Hilde Ephraim im Zuge der »T4-Aktion«, der Kranke und Menschen mit Behinderungen zum Opfer fielen, Berthold Jacob starb an den Folgen der Haft im Jüdischen Krankenhaus in Berlin.
Wenn der Faschismus siegt …
Klarer als beinahe jeder andere Zeitgenosse begriff Leo Trotzki (1879–1940) im türkischen Exil die möglichen Konsequenzen des »Bruderkampfes« zwischen KPD und SPD. In einer Vielzahl von Artikeln und Aufrufen nahm er zur deutschen Situation Stellung. Im Mittelpunkt seiner Aktivitäten standen seine beschwörenden Appelle an beide Parteien, sich zu gemeinsamen Aktionen zusammenzufinden und die Weimarer Demokratie gegen Hitlers Vormarsch zu verteidigen. So schrieb Trotzki 1932: »Die Reihe ist ans faschistische Regime gekommen, sobald die ›normalen‹ militärisch-polizeilichen Mittel der bürgerlichen Diktatur mitsamt ihrer parlamentarischen Hülle für die Gleichgewichtserhaltung der Gesellschaft nicht mehr ausreichen. Durch die faschistische Agentur setzt das Kapital die Massen des verdummten Kleinbürgertums in Bewegung, die Banden deklassierter, demoralisierter Lumpenproletarier und all die zahllosen Menschenexistenzen, die das gleiche Finanzkapital in Verzweiflung und Elend gestürzt.«
Die Bourgeoisie würde, so Trotzki, vom Faschismus ganze Arbeit fordern; »hat sie einmal die Methoden des Bürgerkriegs zugelassen, will sie für lange Jahre Ruhe haben«. Trotzki benannte präzise die Folgen, die ein Sieg des Faschismus für die Arbeiterbewegung mit sich bringen würde: »Zertrümmerung der Arbeiterorganisationen, Zurückwerfung des Proletariats in amorphen Zustand, Schaffung eines Systems tief in die Massen dringender Organe, die die selbständige Kristallisierung des Proletariats unterbinden sollen«.
Trotzkis Anhänger, die so lange wie möglich in der KPD zu verbleiben suchten und sich dort als Linke Opposition verstanden, gründeten erst Ende 1932/Anfang 1933 ihre eigene Gruppe, die Internationalen Kommunisten Deutschlands (IKD), die nur wenige Dutzend Mitglieder zählte. Sie fielen sofort der Verfolgung anheim. Unter ihren jüdischen Mitgliedern sind (neben einigen eingeschleusten Spitzeln Josef Stalins) Hans Berger (1916–1943), Arthur Goldstein (1887–1943), Heinz Leidersdorf (1906–1943) und Samuel Hundert (1902–1941) zu nennen. Sie wurden in Auschwitz, Hundert im Ghetto Stanislau, ermordet. Zur Gruppe gehörte während seines Studiums an der Technischen Universität Berlin auch Trotzkis Sohn Leon Sedow (1906–1938), der in Paris unter ungeklärten Umständen im Krankenhaus starb – aller Wahrscheinlichkeit nach befanden sich unter den Ärzten mehrere Agenten Stalins.
Zu erinnern ist auch an die Organisation Neu Beginnen. Um 1929 entstand der Gründungskern der Organisation. Sie arbeitete im Geheimen innerhalb von KPD und SPD, nannte sich zunächst Leninistische Organisation, abgekürzt LO, wurde aber auch Miles-Gruppe oder schlicht Org genannt. Ihr Gründer Walter Löwenheim (1896–1977) suchte Kader zu gewinnen, die auch im Falle einer möglichen faschistischen Machteroberung den Neuaufbau der dann geeinten Arbeiterbewegung in die Wege leiten sollten. Die Gruppe sah die KPD als sektiererisch, die SPD als verbürgerlicht an. Unter Berufung auf die Schrift »Was tun?« von Wladimir Iljitsch Lenin plante sie den Aufbau eines Kadernetzwerks als Kern einer künftigen revolutionären Partei.
Walter Löwenheim und sein Kreis sprachen zunächst neben Richard Löwenthal gezielt weitere junge Intellektuelle an Universitäten an, unter ihnen Ossip Flechtheim (1909–1998), Evelyn Anderson (1909–1977), Reinhard Bendix (1916–1991), Gerhard Bry (1911–1996), Georg Eliasberg (1906–1972), Rudolf Hirsch (1907–1998), Edith Jacobsohn (1897–1978) und Karl Volk (1896–1961). Anfang 1933 zählte die Gruppe etwa 100 Mitglieder. Durch ihren konspirativen Charakter war sie trotz ihrer numerisch geringen Zahl auf den Übergang in die Illegalität Anfang 1933 besser vorbereitet als andere Arbeiterorganisationen.
Allen Gruppen war gemeinsam, dass sie den »Bruderkampf« zwischen KPD und SPD anprangerten und die Einheitsfront gegen Hitler forderten. Sie entwickelten Konzepte, mit denen KPD und SPD gemeinsam wahrscheinlich den Griff des Faschismus zur Macht hätten verhindern können. Damit gehörten sie trotz ihrer numerischen Schwäche zum Besten, was die deutsche Arbeiterbewegung hervorgebracht hat.
Wir stehen zum Verkauf. Aber nur an unsere Leser*innen.
Die »nd.Genossenschaft« gehört denen, die sie lesen und schreiben. Sie sichern mit ihrem Beitrag, dass unser Journalismus für alle zugänglich bleibt – ganz ohne Medienkonzern, Milliardär oder Paywall.
Dank Ihrer Unterstützung können wir:
→ unabhängig und kritisch berichten
→ übersehene Themen in den Fokus rücken
→ marginalisierten Stimmen eine Plattform geben
→ Falschinformationen etwas entgegensetzen
→ linke Debatten anstoßen und weiterentwickeln
Mit »Freiwillig zahlen« oder einem Genossenschaftsanteil machen Sie den Unterschied. Sie helfen, diese Zeitung am Leben zu halten. Damit nd.bleibt.