Füllstandsanzeige für den Briefkasten

Chemnitzer Forscher fragen die Menschen, welche Technik sie wollen - und welche nicht

  • Heidrun Böger, Chemnitz
  • Lesedauer: 3 Min.

Vieles ist technisch möglich, doch was ist auch sinnvoll? Dieser Frage gehen Projektleiter Arne Berger und sein sechsköpfiges Team, unter ihnen ein Designer, ein Ingenieurwissenschaftler, zwei Informatiker und ein Soziologe, nach. Berger selbst ist Designforscher. Das Projekt wird vom Bundesforschungsministerium mit 2,5 Millionen Euro unterstützt. »Wir konstruieren keine Wohnung, in der Rollläden per Knopfdruck runtergehen und eine Nachricht auf dem Handy informiert, dass die Blumen gegossen werden müssen«, so Arne Berger. Das alles kann sinnvoll sein. Aber: »Uns geht es darum, gemeinsam mit den Menschen auf Augenhöhe Technik zu entwerfen.« Er glaubt, dass Firmen manchmal Dinge erfinden, die an den Bedürfnissen vorbeigehen, zum Beispiel eine Wohnung, die den älteren Bewohner auf Schritt und Tritt überwacht, um einen Sturz zu registrieren und dann den Notruf zu aktivieren. Er gibt Ältere, die das möchten. Für viele ist aber die Nachbarin wichtiger, die einen Schlüssel zur Wohnung hat, und regelmäßig vorbeischaut.

Eine sensorgesteuerte automatische Bewässerungsanlage für Grünpflanzen findet mancher ebenso gut wie eine Füllstandsanzeige für den Briefkasten des verreisten Nachbarn, dessen Schlüssel man hat. Kameras stoßen auf Skepsis. Viele Ältere möchten länger in ihrer Wohnung bleiben, Technik kann hier nutzen. Arne Berger: »Die Beobachtung dessen, was notwendig ist, muss am Anfang der Forschung stehen.« Sein Team will Bedürfnisse der Menschen, ihre Ängste und Ablehnung verstehen und Technik entsprechend gestalten, aber auch bewusst weglassen. Im Mittelpunkt steht das Miteinander in Mietshäusern und Städten.

Etwa 100 Chemnitzer jeden Alters nahmen während der vier Wochen im Sommer die Gelegenheit wahr, mit den Forschern ins Gespräch zu kommen. Zu den acht Workshops kamen noch einmal je 20 Leute. Viele Menschen um die 60 gehen gern mit Technik um, aber es gibt auch die Sorge, zu sehr überwacht zu werden. Arne Berger: »Uns geht es darum, konkrete Probleme zu lösen.« So brauchen Blinde eine Information auf ihrem Handy, wie das Wetter war, ob es zum Beispiel geregnet hat in der Nacht. Einfach weil sie dann entsprechende Schuhe anziehen müssen, um nicht mit Sandalen in Pfützen zu tappen. Von der Technologie her ist ein solches Gerät kein Problem. Man muss aber wissen, dass es gebraucht wird.

Technik wird vor allem da angenommen, wo ihr Nutzen hoch ist. Eine 80-Jährige, die beispielsweise ihre Enkelin in Neuseeland sehen und sprechen möchte, wird sich intensiver mit dem Internetdienst Skype beschäftigen.

Ende des Jahres soll der Abschlussbericht des vierwöchigen Stadtlabors vorliegen. Aber die interdisziplinäre Nachwuchsforschergruppe um Arne Berger hat bereits jetzt weitere Pläne: »Im nächsten Projekt wird es um die kluge Stadt gehen.« So könnten Leute in einem Stadtteil mit einfach zu bauenden Messgeräten die Feinstaubbelastung in ihrer Straße messen. Auch diese Idee wollen die Wissenschaftler gemeinsam mit den Menschen entwickeln, dann allerdings nicht in Chemnitz, sondern gemeinsam mit der Leipziger »Stadtteilexpedition« in der Messestadt.

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