Unheil in Heiligsheim

Friedrich Ani

  • Irmtraud Gutschke
  • Lesedauer: 2 Min.

Er nennt sich »Luggi« Dragomir. Wir wissen lange nicht, wer er wirklich ist. Später wunderte es mich, dass ihn in dem 3000-Seelen-Dorf niemand erkannte - bis vielleicht auf eine alte Frau, die ihn seltsam angesehen hat. Das ist seine Mutter, die dem Buch am Schluss noch zu einer überraschenden Wendung verhilft.

Es ist sicher eine Kunst, aus der Sicht eines irren Serienmörders zu erzählen. Denn dafür muss man sich ja erstmal in ihn hineinversetzen. Ich halte mir zugute, jeden, aber auch jeden Menschen irgendwie verstehen zu können. Ob mir das gut tut, ob ich Lust dazu habe, das ist eine andere Frage.

Insofern hatte ich einige Hoffnung mit der Kriminalkommissarin verbunden, die Friedrich Ani ziemlich früh schon in die Handlung einführt. Eine kluge Person, sie hat schon Verdacht geschöpft, aber der Autor nimmt ihre Ermittlungsarbeit als Nebensache. Warum wohl? Weil der Ich-Erzähler seinen Furor ausleben soll?

Friedrich Ani stammt selbst aus Süddeutschland, wo er seinen Roman auch ansiedelt. Heiligsheim nennt er den Ort, über dem von Anfang an eine unheilvolle Atmosphäre liegt. Wenige Andeutungen genügen, und man weiß schon ungefähr, worum es geht. Aber gleich so schlimm? Nur, wenn man Bayern in sehr, sehr weite Ferne rückt, kann man das glauben. Man muss es, sonst funktioniert das ganze Konstrukt nicht. Vielleicht kann Friedrich Ani einwenden, dass es so einen Fall tatsächlich gegeben hat. Schließlich hat er nach seinem Zivildienst in einem Heim für schwer erziehbare Jungen auch als Polizeireporter gearbeitet. Wobei die Polizei hier erst ins Spiel kommt, als alles eigentlich schon zu spät ist. Die geschilderten Missstände erscheinen irreparabel.

Anklage auch von des Autors Seite? Mag es zunächst so gewesen sein. Aber die Anklage wird erdrückt durch das bis ins Krankhafte übersteigerte Rachebedürfnis eines einst Gedemütigten. Mit einem solchen Pathos wird es zelebriert, dass einem der Mann fern und fremd bleibt, der Einfühlungskraft des Autors zum Trotz.

Warum ich das Buch dennoch nicht beiseitelegte? Weil ich wissen wollte, wie das Ganze im einzelnen zusammenhängt und wohin es noch führen mag. Spannung aufzubauen, gelingt Friedrich Ani durchaus.

Friedrich Ani: Nackter Mann, der brennt. Roman. Suhrkamp. 224 S., geb., 20 €.

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