Roboter streiken nicht

Die Hafenarbeiter in Rotterdam sind stark gewerkschaftlich organisiert und stolz darauf. Doch in der Branche geht der Trend dahin, ohne menschliche Arbeitskräfte auszukommen.

Digitalisierung: Roboter streiken nicht

Mehrstimmiges Kichern nähert sich vom Wasser her. Frauen in Bikinis, ungefähr ein halbes Dutzend, hocken auf einem tiefliegenden, orangefarbenen Gefährt und schippern damit durch den Wijnhaven im Zentrum von Rotterdam - und das spät an einem gewöhnlichen niederländischen Sommerabend, also bei etwa zehn Grad. Den schwimmenden Bottich mit heißem Wasser und eingebautem Ofen kann man mieten, wenn man meint, das sei unbedingt nötig. Ansonsten beherrschen historische Schiffchen das Bild und Hausboote, von denen viele als Restaurants oder Pensionen genutzt werden. Abgesehen von den Wassertaxis geht es recht gemächlich zu in der Gegend, die irgendwann einmal ein richtiger Hafen war und nun vor allem bei Touristen beliebt ist. Seeleute und Hafenarbeiter trifft man hier schon lange nicht mehr.

Das ist allerdings auch 40 Kilometer Luftlinie weiter Richtung Meer nicht viel anders, wo sich der ganze Stolz des modernen Rotterdamer Hafens befindet. An der Mündung der Nieuwe Maas wurde der Nordsee in den vergangenen Jahren einmal mehr ein Stück Land abgerungen, die Maasvlakte II. Auf der für die größten Containerschiffe der Welt gezeitenunabhängig und auch bei voller Ladung rund um die Uhr erreichbaren aufgeschütteten Halbinsel wurde im Frühjahr 2015 das erste vollautomatisierte Containerterminal in Betrieb genommen.

Die Container werden dort von ferngesteuerten Kränen auf- und abgeladen; selbstfahrende Vehikel schaffen sie heran oder weg. Es sei das erste CO2-emissionsfreie Terminal der Welt und setze »neue Standards der Sicherheit, Produktivität und Nachhaltigkeit«, werben die Hafengesellschaft und der Betreiber APM Containerterminals. Menschen haben dort vor allem eines zu tun: aus dem Weg bleiben.

Dennoch soll es insgesamt mehr als 90 000 »direkte seehafenbezogene Arbeitsplätze« in und um das endlose Rotterdamer Hafen- und Industriegebiet geben mit seinen riesigen Öltanks, Raffinerien, Kraftwerken, Kohle-, Kurzstrecken-, Fähr- und anderen Terminals und vielen, vielen Containern. »Proud to be a docker« steht auf dem T-Shirt des Gewerkschafters mit blankem Schädel und einem breitem Grinsen hinter der Sonnenbrille, der vor dem Eingang von Uniport wartet. Bei ihm stehen Genossen von der niederländischen FNV Havens und der Internationalen Transportarbeiter-Föderation ITF. Die Männer begrüßen herzlich den ITF-Inspektor aus Rostock, man kennt sich.

Nur Schiffe mit vergleichsweise handlicher Größe können an den City-Terminals anlegen.
Nur Schiffe mit vergleichsweise handlicher Größe können an den City-Terminals anlegen.

250 Leute arbeiten bei Uniport, einem kleineren City-Terminal nicht weit der Erasmus-Brücke, dem Wahrzeichen von Rotterdam. Den Waalhaven erreichen nur kleinere Containerschiffe bis zu einer Länge von 260 Metern und einer Frachtkapazität von 4500 TEU (20-Fuß-Standardcontainer). 450 000 TEU werden hier pro Jahr umgeschlagen. Vielleicht könnten es noch mehr sein, wenn alle Kräne funktionieren würden. Aber von vier Stück, die aus Bremen gekauft wurden, läuft nur einer. »Die taugen nichts«, erklären die Männer lachend. Für das weitläufige Gelände sieht man auch hier nicht allzu viele Menschen. Dennoch ist es beinahe eine Besonderheit, dass bisher nur die Registrierung der Container anhand ihrer Identifikationsnummern von einem Kamerasystem erledigt wird.

Viel mehr als die Nummer weiß man heutzutage kaum mehr über die umgeschlagene Fracht, lediglich ob sie Gefahrengut enthält oder gekühlt werden muss - auf Letzteres hat sich Uniport spezialisiert. Die Gewerkschafter machen Witze über »Cocain Terminals«. Drogen, Waffen, Giftstoffe - theoretisch ist alles möglich, denn kontrolliert wird nur stichprobenartig. »Manchmal ist das unheimlich«, sagen sie.

»Hafenkapazitätsblasen« nennt Niek Stam das, was auf der Maasvlakte II - und ebenso an vielen anderen Orten der Erde - entsteht. Bis zu ihrer Fertigstellung um 2030 soll sich die Umschlagkapazität des größten Hafens von Europa für Container auf weit mehr als 30 Millionen TEU verdoppeln. Der Sekretär der niederländischen Hafengewerkschaft FNV bezweifelt jedoch, dass sich die Investitionen für die Betreiber bezahlt machen werden.

Zuletzt sei der Containersektor um vier Prozent geschrumpft. Vor allem das Geschäft mit China ging zurück, dem wichtigsten Warenlieferanten jenseits von Europa. Stam wagt die Prognose, dass sich der Welthandel völlig verändern wird und sogar die Textilindustrie nach Europa zurückkehren könnte, wenn Länder wie Griechenland weiter verarmen.

Ebenso gut könnten Innovationen wie 3D-Drucker die Produktion vieler Waren in Fernost unrentabel beziehungsweise überflüssig machen. »Aber ihre Terminals und Schiffe, die haben sie für 30, 40 Jahre gebaut. Die sitzen dann in der Tinte«, sagt Stam. »In deep shit« ist seine Formulierung. »Arbeiter kannst du tageweise einstellen, aber die Bank kostet immer«, erklärt Stam.

Anderswo transportieren selbstfahrende Lkw die Container
Anderswo transportieren selbstfahrende Lkw die Container

Wer ihm zuhört, fragt sich, warum jemand bloß auf die Idee kommen konnte, ein Terminal ohne Menschen zu schaffen. Stam weiß von unzähligen technischen Schwierigkeiten auf der Maasvlakte II zu berichten und davon, wie unflexibel ein solch gigantisches Konstrukt eigentlich ist: »In einem anderen Terminal, da schickst du einfach mehr Leute, wenn etwas schief gelaufen ist. Hier kommen gleich 20 000 Container zu spät.« Und somit Waren von möglicherweise mehreren Hundert Millionen Euro.

Das kann fatal sein bei dem enormen Zeit- und Kostendruck, dem Reedereien, Terminal- und Hafenbetreiber und die anderen Glieder der transnationalen Lieferketten im globalen Konkurrenzkampf ausgesetzt sind. Fallende Frachtraten und der Preisverfall im Containergeschäft machen selbst den größten Reedereien zu schaffen. Eine genormte Metallkiste von Fernost nach Europa zu transportieren, kostet nur noch 150 Euro, vor Jahren war es noch fast das Zehnfache. Und selbst die Riesenschiffe, die das Geschäft lohnenswert machen sollen, bringen Probleme mit sich: bei der Hinterlandanbindung. »Wenn du nicht weißt, was in deiner Industriesparte läuft, bist du fertig.«

»Fucked«, sagt er, um genau zu sein. Ungefähr so wie die koreanische Großreederei Hanjin, deren Schiffe nach der Insolvenz Ende August plötzlich auf See oder in den Häfen festhingen.

All das ist zwar nicht direkt das Problem des großen Mannes mit der saloppen Ausdrucksweise, in T-Shirt und Jacke der FNV Havens mit dem Schriftzug »Meine Gewerkschaft«. Aber indirekt. Auf einem seiner Schaubilder zeigen drei Pfeile von den Warenproduzenten nach unten zu den Reedereien, den Terminalbetreibern und den Hafenbehörden. Von dort zeigen wiederum drei Pfeile nach unten auf das eine Wort »workers«. »Da stehen wir, die Arbeiter.«

Keine Arbeit- aber ein halbes Dutzend Sitzplätze: schwimmender Minipool
Keine Arbeit- aber ein halbes Dutzend Sitzplätze: schwimmender Minipool

In Rotterdam ist die Bedrohung geradezu greifbar, wenn auch sehr unhandlich und über 30 Kilometer vom Waalhaven entfernt. Im Januar streikten die Hafenarbeiter der Stadt 24 Stunden lang für Jobgarantien bis 2022. »Hunderte Jobs werden aufs Spiel gesetzt, weil es den industriellen Wachstum in Rotterdam gar nicht gibt, um die neuen Terminals und die existierenden zu betreiben«, sagte Stam damals der Presse. Der Streik war schon »eine klare Ansage«, meint sein Kollege Koen Keehnen, Docker und Sekretär des Fachbereichs Hafen der FNV, der Anfang Juli bei Uniport immerhin Garantien für alle bis 2020 und Rentenvereinbarungen für ältere Kollegen mit aushandelte.

Dennoch, der Druck wächst. Weil sich Hafenarbeit immer mehr im Containerweitertransport erschöpft, sinkt die Zahl der Beschäftigten auch jenseits von Maasvlakte II. Für die reinen Logistiktätigkeiten liegen außerdem die Tarife deutlich niedriger als für die klassische Hafenarbeit. Die Hafengesellschaften, einst gegründet, um den vielen Tagelöhnern geregelte Arbeitsplätze zu verschaffen, stellen kaum noch neu ein.

Was noch arbeitsintensiv ist, wird outgesourct, wie man heute so schön sagt. Auch bei Uniport. Betriebsfremde »Lashing Gangs« ohne Kontakt zur Gewerkschaft gehen auf die Schiffe und lösen bzw. zurren die Container fest, während die Hafenarbeiter mit den Seeleuten kaum noch Kontakt haben.

Dabei macht sich gerade deren Zusammenhalt in den Arbeitskämpfen besonders bezahlt, wie Hamani Amadou bestätigt. Er ist Inspektor der ITF in Rostock, zuständig für die deutschen Ostseehäfen und vor allem mit Schiffen beschäftigt, die unter Billigflaggen fahren. Wenn es Beschwerden gibt über nicht oder zu späte gezahlte Löhne, kranke Seeleute, die nicht zum Arzt gehen dürfen, meldet sich Amadou zum Besuch an.

Ein fehlender Tarifvertrag, frühere Beschwerden oder eine Leerstelle in der Datenbank können auch ausreichen. Naturgemäß sind die Verantwortlichen nicht immer erfreut, wenn die ITF kommt. Aber bisweilen genügt ein Anruf und der Zugang zum Schiff wird gewährt, der Kaffee steht bereit und die Verhandlungen über Arbeitsverträge können beginnen. »Manchmal reicht die Drohung, dass es im Hafen Ärger geben wird«, erzählt er. »Da müssen wir dann auch schon mal ein bisschen bluffen.«

Da auf hoher See schlecht gestreikt werden kann, ist die Solidarität in den Häfen umso wichtiger. Im Ernstfall kann die Abfertigung eines Schiffes boykottiert werden. Amadou berichtet von einem fünftägigen Bummelstreik im Februar in Bremerhaven. Danach habe man die Aktion zwar abgebrochen. Aber die Kollegen in Antwerpen, der nächsten Anlaufstelle, waren informiert. Die mehrtägige Verspätung eines Schiffs kann für eine Reederei teuer werden. Dieses Druckmittel fällt allerdings weg, wenn Seeleute und Docker beim gleichen Unternehmen angestellt sind, wie es immer häufiger der Fall ist. So gehört das APM-Terminal auf der Maasvlakte II zur dänischen Maersk Group, die auch die größte Containerschiffflotte unterhält, und die chinesische Nummer vier der Branche, COSCO, kaufte den Athener Hafen Piräus.

Die Reedereien streben danach, immer größere Teile der Wertschöpfungskette in ihren Besitz zu bringen, und die EU versucht mit ihren »Port Packages« weitere Privatisierungen von staatlicher Infrastruktur und die Selbstabfertigung von Schiffen durch die Besatzungen möglich zu machen - ein Affront für die Hafenarbeiter. Bisher konnten die Richtlinien nach heftigen Protesten nicht im EU-Parlament durchgesetzt werden. Doch das drohende Port Package IV sieht immer noch Liberalisierungen bei einigen Hafendienstleistungen vor und enthält auch eine faktische Einschränkung des Streikrechts der Docker.

Dockers United!
Dockers United!

Die Zeiten, als von Zwangsarbeit auf Schiffen berichtet wurde, sind dank der guten Organisierung von fünf Millionen ITF-Mitgliedern weltweit und - den einzigen - international gültigen Tarifverträgen zum Glück vorbei. Doch ohne Unterstützung aus der Politik gibt es kein Mittel gegen die Ausflaggung der Schiffe, die es verhindert, dass etwa die Besatzung eines deutschen Schiffes nach deutschen Tarifen bezahlt werden muss. Wie das aussehen müsste, ist sich die Runde einig: »Diktatorisch.« Wer ausflaggt, wird bestraft.

Längst haben die Gewerkschaften in diesem globalisierten Sektor begriffen, dass sie mit lokalen und nationalen Bestrebungen nicht weit kommen. »Schmalspurdenken« nennt es Stam, wenn man meine, »wir können gewinnen, wenn wir billiger, schneller und flexibler sind«. Damit unterwerfe man sich nur der Wettbewerbslogik. »Morgen ist dann jemand anderes noch billiger, schneller und flexibler.«

So ist auch ver.di als Mitglied der ITF bei der Kampagne gegen Billigflaggen und die Selbstabfertigung von Schiffen mit dabei und versucht die FNV Havens, ihre Tarifverträge mit den Kollegen in den deutschen, belgischen und französischen Häfen - der direkten Konkurrenz von Rotterdam - zu koordinieren. Ihre Devise lautet: Keine Gespräche über Lohnsenkungen, denn ein Angriff auf die Arbeiter in einem Hafen ist ein Angriff auf die Arbeiter in allen Häfen.

Trotz des beachtlichen Organisierungsgrades der Hafenarbeiter von 70 bis 80 Prozent gibt es aber auch deutliche gewerkschaftliche Schwachstellen. In den Betrieben sind es zum Beispiel die IT-Leute, jenseits davon die Lashing Companies und andere Subunternehmen. Manche Hafengesellschaften gründen sogar Tochterfirmen, die sich als Zeitarbeitsfirmen betätigen - die zeitgemäße Form des Tagelöhnergeschäfts. Kollegen auf Zeit und Jüngere sind nicht so leicht zu organisieren. »Es ist nicht mehr selbstverständlich, in der Gewerkschaft zu sein«, sagen die, für die Docker sein gleichbedeutend ist mit Gewerkschafter sein.

Zu den neuen Terminals muss sich die FNV Havens erst einmal Zugang verschaffen. Und dort ist es schwierig, die Beschäftigten überhaupt zu treffen, die vereinzelt auf ihren Posten sitzen und sich kaum untereinander sehen, weil es keine Treffpunkte gibt, etwa für die Mittagspause. Stam spricht von besonderen Schwierigkeiten bei »Green field terminals«, wenn für die neuen Betriebe keine Docker, sondern gänzlich neues Personal angeworben wird, auf das man zugehen müsse. »Wenn wir warten, bis die unglücklich sind und zu uns kommen, ist schon alles kaputt.«

Immer wieder ist der Gegensatz spürbar: Auf der einen Seite die Kraft und das Bewusstsein darüber, an welch sensiblen Punkten internationaler Wertschöpfungsketten man arbeitet, und auf der anderen Seite die Machtlosigkeit in Anbetracht der realistischen Möglichkeit, in naher Zukunft outgesourct, entlassen oder von Maschinen ersetzt zu werden. Die haben nämlich doch mindestens einen Vorteil, den Stam eingestehen muss: »Roboter streiken nicht.«

Diese Reportage entstand im Rahmen der Informations- und Vernetzungsreise der Rosa-Luxemburg-Stiftung »Auf umgekehrten Güterwegen« zu den Arbeitsverhältnissen in der Frachtschifffahrt nach Berlin, Duisburg und Rotterdam.

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