Berlin: Polizisten verletzen Flüchtling tödlich

Beamte schossen auf Bewohner einer Moabiter Unterkunft, der Messerangriff ausführen wollte

  • Martin Kröger
  • Lesedauer: 2 Min.

Der genaue Hergang ist Gegenstand von Ermittlungen einer Mordkommission. Nach bisherigem Kenntnisstand schossen am Dienstagabend drei Polizisten auf einen 29-jährigen Flüchtling, der mit einem Messer einen 27-Jährigen angreifen wollte. Der 27-jährige Bewohner der Unterkunft soll zuvor das sechsjährige Kind des 29-Jährigen in einem nahe der Moabiter Traglufthalle gelegenen Park sexuell missbraucht haben. Als alarmierte Polizisten den mutmaßlichen Sexualstraftäter in einen Polizeiwagen verfrachtet hatten, soll der 29-Jährige laut Polizei mit einem Messer in der Hand aus der Unterkunft auf das Fahrzeug zugestürmt sein. Die Aufforderungen stehenzubleiben soll der Angreifer ignoriert haben, woraufhin mehrere Beamten schossen. Der Mann verstarb später in einem Krankenhaus.

Wie bei einem Schusswaffengebrauch üblich, ermittelt jetzt eine Mordkommission den genauen Hergang der Tat. Dazu zählen auch Ermittlungen gegen die Polizisten, die auf den Vater des Kindes geschossen haben, hieß es in einer Pressemitteilung. Ein Fachkommissariat des Landeskriminalamtes für Sexualdelikte ermittelt darüber hinaus wegen der Vorwürfe gegen den 27-jährigen Beschuldigten.

»Für den mutmaßlichen Missbrauch gibt es Verdachtsmomente und entsprechende Aussagen von Zeugen«, sagte Martin Steltner, der Sprecher der Staatsanwaltschaft Berlin am Mittwoch. Der Verdächtige sollte noch am selben Tag einem Haftrichter vorgeführt werden.

Für den innenpolitischen Sprecher der Linksfraktion im Abgeordnetenhaus, Hakan Taş, wirft der Polizeieinsatz Fragen auf: »Warum wurde der Vater nicht begleitet und betreut?« Und: »Warum waren für die Familienangehörigen des offenbar missbrauchten Kindes keine Psychologen und Sozialarbeiter vor Ort?« Außerdem müsse es jetzt eine Diskussion geben, wie solche Situationen in Zukunft besser vermieden werden können. »Fragen der Ausbildung, des taktischen Vorgehens und des Schießtrainings bei der Polizei müssen auf den Tisch«, sagte Taş. Schließlich dürfe man die Beamten der Polizei mit diesem Problem nicht alleinlassen.

Der Landesvorsitzende der Deutschen Polizeigewerkschaft (DPolG), Bodo Pfalzgraf, sagte: »Der tragische Einsatzverlauf darf nicht zu einer medialen Vorverurteilung führen. Die Beamten mussten Selbstjustiz als eine für sie selbst lebensbedrohliche Situation verhindern!« Im gleichen Atemzug forderte die DPolG die Einführung von »Distanzelektroimpulsgeräten«, also von Tasern.

Die Gewerkschaft der Polizei (GdP) lehnt dagegen den Vorstoß der Konkurrenz für Taser ab. »Niemand sollte sich der Illusion hingeben, dass Taser ein Allheilmittel sind«, sagte die Landesvorsitzende der GdP, Kerstin Philipp. Weil den Kollegen kein Fehlverhalten vorzuwerfen sei, brauche es auch keine Debatte über den Schusswaffengebrauch.

Erst vor ein paar Wochen war in Hellersdorf ein Mann von Polizisten erschossen worden. Auch bei diesem Vorfall ging die Polizei von einer Notwehrsituation aus.

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