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Wenn Sozialdemokraten die CDU kopieren

Der Seeheimer Kreis in der sozialdemokratischen Bundestagsfraktion hat Schwerpunkte für das Wahljahr 2017 formuliert

  • Aert van Riel
  • Lesedauer: 4 Min.

Der Seeheimer Kreis hat sich große Ziele gesetzt. Bis zur Bundestagswahl will die konservative Strömung in der sozialdemokratischen Bundestagsfraktion die Mehrzahl der Deutschen »für die SPD begeistern«. So steht es in einem Papier mit dem Titel »die Mehrheit im Blick«, in dem die Seeheimer ihre Schwerpunkte für das Bundestagswahlprogramm 2017 formulieren. Viel Neues hat der Kreis allerdings nicht anzubieten, um die weiterhin schwachen Umfragewerte der SPD zu verbessern.

Für mehr Gerechtigkeit soll unter anderem eine solidarische Bürgerversicherung sorgen, in die alle einzahlen. Hinzu kommen Bekenntnisse, dass Männer und Frauen ebenso wie Homosexuelle gleichberechtigt behandelt werden müssten. In der Steuerpolitik wird ein Freibetrag bei den Sozialabgaben in Aussicht gestellt. Steuererhöhungen für Spitzenverdiener und Vermögende, welche die SPD noch in ihrem Wahlprogramm 2013 gefordert hatte, finden sich in dem Papier der Seeheimer hingegen nicht. Die prekäre Lage von Hartz-IV-Empfängern wird von den Autoren geflissentlich ignoriert.

Das Papier legt nahe, dass sich die Sozialdemokraten wirtschaftsnäher aufstellen sollen. Die digital geprägte Wirtschaft 4.0 wird als »Weiterentwicklung« gepriesen. Risiken für Arbeiter und Angestellte werden verschwiegen. Diese entstehen etwa durch einen erhöhten Rationalisierungsdruck, stärkere Kontrollen oder auch durch ein Verschwinden der Grenzen zwischen Arbeitszeit und Freizeit.
Einen starken Staat fordert der Seeheimer Kreis allein, um die »innere und äußere Sicherheit« zu gewährleisten. Aufgerüstet werden sollen nicht nur Polizei und Geheimdienste, sondern auch »unsere Streitkräfte«. Grundsätzlich sind die konservativen Sozialdemokraten dazu bereit, die Bundeswehr weiterhin weltweit in Konfliktregionen zu schicken. Sie stehen zur »internationalen Verantwortung« Deutschlands.

Harsche Drohungen sprechen die Seeheimer gegen Migranten aus. »Auch um Integration gelingen zu lassen, darf es für niemanden einen Rabatt bei Regelverstößen geben«, tönen die Sozialdemokraten. Als ob jemals in diesem Land Ausländer, die gegen Gesetze verstoßen haben, bevorzugt behandelt worden wären. Langfristig will der Kreis hauptsächlich die Migranten willkommen heißen, die gut ausgebildet sind. Um deren Einreise zu regeln, streben die Autoren ein Einwanderungsgesetz an. Schutzsuchende sollen dagegen an der Weiterreise gehindert werden. »Die Sicherung der europäischen Außengrenzen ist elementar und mit allen notwendigen Mitteln zu fördern«, schreiben die Seeheimer. Für die Asylverfahren sollen in der Regel Staaten der EU-Peripherie zuständig sein.

Abgesehen von einigen Ausnahmen ist das Papier eine Kopie von Forderungen der CDU. Wenn es nicht gelingen sollte, genügend Wähler aus dem konservativen Spektrum für die SPD zu gewinnen, um stärkste Kraft zu werden, würde der Seeheimer Kreis wohl erneut dafür plädieren, als Juniorpartner in eine Große Koalition zu gehen. Dem einflussreichen Kreis gehören etwa 70 Bundestagsabgeordnete an, darunter Fraktionschef Thomas Oppermann sowie die ehemaligen Bundesministerinnen Ulla Schmidt und Brigitte Zypries. Für Rot-Rot-Grün haben sie kaum Sympathien. Daran wird wohl auch die Teilnahme von Vertretern der Seeheimer und der mit ihnen kooperierenden SPD-Netzwerker an einem Meinungsaustausch mit Politikern von LINKEN und Grünen am 18. Oktober nicht viel ändern. Johannes Kahrs, Hamburger Bundestagsabgeordneter und einer der Sprecher des Kreises, konzentriert sich derzeit darauf, Vergleiche zwischen der Linksfraktionschefin Sahra Wagenknecht und der AfD-Vorsitzenden Frauke Petry im Internet zu verbreiten. Zudem wirbt Kahrs dafür, den Außenminister und Seeheimer Frank-Walter Steinmeier als Kandidaten für das Amt des Bundespräsidenten aufzustellen. Der Sozialdemokrat zählte als Chef des Kanzleramts zu den Architekten der neoliberalen Agenda 2010 und ist auch deswegen für die LINKE nicht wählbar.

Sollte Parteichef Sigmar Gabriel Spitzenkandidat der SPD werden, würde er in einem Dilemma stecken. Als Mitglied der Netzwerker und Seeheimer vertritt er deren konservativen Kurs. Eine Chance, Bundeskanzler zu werden, hätte er aber nur mit Unterstützung der Linkspartei.

Die Debatte um das Wahlprogramm und mögliche Koalitionen dürfte die nächsten Wochen bei den Sozialdemokraten bestimmen. Am 14. und 15. Oktober trifft sich der Dachverband des linken Flügels, die Magdeburger Plattform, zur Jahreskonferenz in Berlin. Zudem stehen im November die Herbsttagung des SPD-Vereins Forum Demokratische Linke 21 und der Bundeskongress der Jusos an. Fraglich ist, ob die heterogene und organisatorisch zersplitterte Parteilinke sich auf gemeinsame Forderungen einigen kann. Zuletzt war der Kurs der Parteispitze beim europäisch-kanadischen Freihandelsabkommen CETA von führenden Vertretern des Flügels unterschiedlich bewertet worden. Als einigendes Band der linken Sozialdemokraten bliebe die Forderung nach einer Wiederbelebung der Vermögensteuer.

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