Merkel-Safari ohne Klimawandel

Eva Bulling-Schröter über eine der wichtigsten Fluchtursachen und deren Auswirkungen in Afrika

  • Eva Bulling-Schröter
  • Lesedauer: 5 Min.

Bevor Angela Merkel ihre »Afrika-Reise der Kanzlerin«, so die offizielle Sprachregelung, angetreten hatte, waren Sinn und Zweck der Drei-Tage-Safari schon formuliert. »Das Wohl Afrikas liegt im deutschen Interesse«, erklärte uns die Chefin der Großen Koalition in ihrem Video-Podcast. Ihr Express-Besuch im fernen Mali, Niger und Äthiopien diene allein dem nationalen Eigeninteresse, was sonst.

Doch wäre die Mecklenburgerin nicht Pfarrerstochter, würde sie es nicht auch gut mit dem Kontinent meinen. Im Gepäck hat sie darum nicht nur die persönliche Übergabe des Julius-Nyerere-Gebäudes im äthiopischen Addis Abeba, finanziert von Deutschland, eine »Mischung aus deutscher Baukunst und natürlich auch lokalen Einflüssen«. Neben solchen Glasperlen aus Beton sorgt sich Merkel ganz besonders um »Sicherheit und Frieden in Afrika«. Denn es gibt »leider« noch viele »Unruheherde in Afrika«. Mit Hilfe aus Berlin könnten diese aber einer »Lösung« zugeführt werden, so das Podcast-Versprechen. Mittel der Wahl seien »Truppen«, »Vermittlungsbemühungen« und »Friedensbemühungen«.

Und weil Deutschland nicht die ganze Welt retten könne, schon klar, beruhigt die Mutter der Nation den daheimgebliebenen deutschen Michel mit der Aussage, sei es erklärtes Ziel, dass der »junge Kontinent mit einem großen Bevölkerungswachstum« endlich »selber die Geschicke in die Hand nimmt«. Auch Lob aus dem hohen Norden hat Merkel im Gepäck. Die Afrikanische Union gehe heute, 2016, schon »sehr viel selbstbewusster an die Lösung dieser Konflikte« heran. Ja und überhaupt müsse man »Dinge auch gemeinsam besprechen« und müssten »wir uns noch sehr viel stärker für die Geschicke Afrikas interessieren«.

Hinter der weichen Wolke steht harte Realpolitik. Merkel geht es darum, dass die afrikanischen Regierungen in Bamako, Niamey und Addis Adeba all die Menschen aufhält, die sich schon heute zu Zehntausenden in Richtung Festung Europa aufmachen. Ein Ende der bestehenden Visa- und Reisefreiheit in weiten Teilen Afrikas, mehr Grenzkontrollen und der militarisierte Kampf gegen »Schlepperbanden« im Tausch für Ausbildungs- und Rückkehrerprogramme für Migrantinnen wie Migranten und ein wenig mehr Entwicklungshilfe, das nennt man in Europas Hauptstädten im 21. Jahrhundert »Migrationspartnerschaft«. Aber warum verlassen so viele Menschen ihre geliebte Heimat, wird die Kanzlerin im Podcast-Interview nach den Fluchtursachen gefragt. Die Unwahrheit der Antwort besteht im Weglassen. Merkel: »Also erst einmal ist die Situation um den Tschadsee in der Tat dramatisch. Es sind viele, viele Millionen Menschen, die vom Tschadsee leben. Der Tschadsee selber schrumpft.«

Den Grund dafür, warum der See mit den Anrainerstaaten Tschad, Nigeria, Niger, Kamerun, Zentralafrikanische Republik und Libyen verschwindet und blutige Konflikte ums nackte Überleben ausbrechen, den nennt die Naturwissenschaftlerin nicht: Es ist der Klimawandel. Laut Umweltprogramm der Vereinten Nationen lässt sich die Hälfte des drastischen Rückgangs des Tschadsees auf Auswirkungen des Klimawandels zurückführen. Seit den 1960er Jahren ist die Wasserfläche von 25.000 auf 4800 Quadratkilometer geschrumpft.

Informationen über den Zusammenhang von Armut, Krieg, Flucht und Klimawandel sind der Bundesregierung natürlich bekannt, nicht erst die vorrückende Terrorarmee von Boko Haram hat für hunderttausende Flüchtlinge und Hungersnot gesorgt. »Befragungen von über 1100 Dörfern ergaben, dass der Regenfeldanbau den Hauptanteil der landwirtschaftlichen Produktion in der Pilotzone ausmacht. Sie ist damit von Klimawandel und -schwankungen besonders betroffen«, informiert etwa die Regierungsentwicklungsbehörde GIZ über »Anpassung an den Klimawandel im Tschadseebecken«. Und in einer Antwort auf eine Kleine Anfrage von mir über Klimawandel und Migration im Nahen Osten und Nordafrika (MENA-Region) beschreibt die Bundesregierung eindrucksvoll, wie der Klimawandel Land für Land Einzug hält. Mit all den fatalen Folgen: mehr Dürren, mehr Krankheiten, mehr Landflucht in die Städte, mehr Arbeitslosigkeit, mehr ausbrechende Konflikte um knapper werdende Ressourcen. Weniger Trinkwasser, weniger Ackerland, weniger Zukunftschancen für Millionen von KleinbäuerInnen, ViehzüchterInnen und Fischer.

Auch der Merkel-Trip hat es wieder gezeigt: Deutschland redet nicht so gerne über seine Klimaschuld, gibt dafür lieber den Big Spender. Oder die Länder der Europäischen Union. Oder die Vereinigten Staaten. Geschweige denn von der Rohstoff-Plünderung Afrikas und der erpresserischen Öffnung neuer Märkte durch Freihandelsabkommen. Dabei schreit die Klimaungerechtigkeit zum Himmel. Der gesamte afrikanische Kontinent ist für nur rund drei Prozent aller CO2-Emissionen (2013) weltweit verantwortlich. Historisch betrachtet hat Afrika noch viel weniger Klimagase in die Atmosphären-Deponie eingelagert. Sein Energieverbrauch liegt bei nur rund drei Prozent der ganzen Welt. Dabei leben zwischen Mittelmeer und Kap Horn fast 16 Prozent der Weltbevölkerung. Und der Kontinent, und ganz besonders die Sahel-Zone, ist die am stärksten vom Klimawandel betroffene Weltregion überhaupt.

Ich finde, wer den Gewinn der fossilen industriellen Revolution und damit den Klimaschaden angerichtet hat, der muss auch für die Folgen haften. Darum sind die EU und Deutschland in der Pflicht. Eine Abschottung gegenüber dem Rest der Welt durch Grenzzäune an den Außengrenzen und eine restriktive Asyl- und Einwanderungspolitik sind unmoralisch, inhuman und kurzsichtig. Viel eher muss über eine rechtliche Verankerung des Status »Klimaflüchtling« in nationalem und Völkerrecht nachgedacht werden. Und es müssen die öffentlichen Gelder für Anpassung an den Klimawandel massiv aufgestockt werden, statt den Bau von Windrädern und Solarparks in der Region mit den Mitteln der Armutsbekämpfung zu verrechnen. Und ein Grund, warum ich diesen Blog schreibe: Das öffentliche Bewusstsein muss noch viel größer werden, die Zusammenhänge von Migration und unserem Wohlstand müssen bekannter werden, statt im ganzen Land sündhaft teure Werbeplakate für Bundeswehr-Auslandseinsätze aufzuhängen. Ein Kampf gegen die Klimawandelfolge Flucht und Migration mit neuen Grenzanlagen, Asylrechtsverschärfungen und weiterer Militarisierung? Dieser Merkel›sche Weg ist falsch.

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