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Niemöller und der Nazi

Brisante Forschungsarbeit über einen NS-Ideologen, der in Hessen Pfarrer werden durfte

  • Wolfgang Weissgerber
  • Lesedauer: 3 Min.
Auf Martin Niemöller, einem der führenden Köpfe des evangelischen Widerstands gegen Hitler, fällt ein Schatten: Nach Forschungen des Berliner Historikers Manfred Gailus hat Niemöller 1949 einen rechtskräftig verurteilten Nazi-Verbrecher quasi im Alleingang zum Pfarrer gemacht.
Wie Gailus darlegt, war der NS-Ideologe Matthes Ziegler als »politische Allzweckwaffe« am Kampf gegen den »alten Glauben« des Christentums und an der Propaganda der »politischen Religion« des Nationalsozialismus maßgeblich beteiligt. Warum Niemöller diesen Mann in den Dienst der Kirche holte, ist Historiker Gailus, einem Experten für Protestantismus in der NS-Zeit, jedoch unklar.
Gailus beschreibt die »wunderbare Wandlung« des zielstrebigen Nazis in der »Zeitschrift für Geschichtswissenschaft«. Niemöller habe ihn wohl als »nicht ganz unbelehrbar« eingeschätzt und zudem als Katholizismus-Experten gebrauchen können, so Gailus. Ziegler hatte unter anderem am »Handbuch der Romfrage« mitgearbeitet, das die Übernahme des Vatikans nach dem »Endsieg«" vorbereiten sollte. Seit 1931 NSDAP- und seit 1933 SS-Mitglied fiel Ziegler schon als Student mit Aufsätzen auf. Er schwadroniert über »herrisches, adeliges Blut« und das Hakenkreuz »als Lebenssymbol, das den Tod überwindet« - und macht so im Nazireich schnell Karriere. Hitlers Chefideologe Alfred Rosenberg übertrug ihm 1934 die Schriftleitung der »Nationalsozialistischen Monatshefte«. Ziegler schließt sich 1940 der Waffen-SS an und macht im Rang eines Obersturmbannführers Kriegspropaganda. Im Mai 1945 gerät Ziegler in Gefangenschaft und wird als »Kenntnisverbrecher« zu vier Monaten Haft verurteilt, worauf er sich nach Einschätzung des Historikers Gailus »neu erfand« und »nicht ungeschickt in die postnationalsozialistische Zeit einzufädeln verstand«. Als die bayerische Kirche Ziegler abwies, vermittelt ihn ein Pfarrer an Niemöller.
Der lässt den abgebrochenen Theologiestudenten sogleich zum Examen zu. 1950 wird Ziegler Pfarrassistent und übernimmt 1956 eine Pfarrstelle im südhessischen Langen. Bald sitzt Ziegler in der Landessynode und schreibt für evangelische Medien, auch für den epd. 1992 stirbt Ziegler.
Die frühere Frankfurter Pröpstin Helga Trösken erlebte ihn als junge Kollegin und ärgerte sich über seine »faschistoiden Methoden«. Wegen ihres Eintretens für Kriegsdienstverweigerer hätten sie und andere junge Pfarrer ständig Streit mit Ziegler gehabt. Wie sehr er in die Nazi-Verbrechen verstrickt gewesen war, habe sie damals aber nicht geahnt, sagt Trösken heute.
Auch der Kirchenleitung dämmerte das erst später. Akten der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau lassen »keine Beweggründe für Niemöllers Handeln erkennen«, sagt ihr Zentralarchivleiter Holger Bogs. Kirchen-Sprecher Joachim Schmidt erklärt: »Fest steht, dass Matthes Ziegler seinen Lebenslauf verbrämt, seine Verantwortung bagatellisiert und Martin Niemöller getäuscht hat.«
Als Erklärung reiche das jedoch nicht aus. Einen Fingerzeig geben vielleicht die Protokolle der Kriegsverbrecherprozesse von Nürnberg. Dort wird der Nazi-Chefideologe Rosenberg über Niemöller befragt. Er erklärt, ein Dr. Ziegler aus seinem Stab sei als Beobachter zugegen gewesen, als der Pfarrer 1938 vor Gericht stand. Aus Zieglers Bericht gehe hervor, dass die Vorwürfe gegen Niemöller vornehmlich auf Missverständnissen beruhten. Diesen Bericht habe Hitler-Stellvertreter Rudolf Hess dem Führer vorgetragen. Daraufhin habe Hitler veranlasst, dass sein »persönlicher Gefangener« mit den ersehnten Zigarren versorgt wurde.
Hat Niemöller also mit Zieglers Einstellung auch eine Dankesschuld beglichen? Dem Historiker Gailus war diese Episode der Beziehung Niemöllers zu Ziegler bisher nicht bekannt. epd

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