Codename »Schatzgräber«

Russland erforscht Station der Wehrmacht in der Arktis

  • Wolfgang Jung, Moskau
  • Lesedauer: 4 Min.

Die Umgebung lebensfeindlich, der Name eine Tarnung, die Position streng geheim: Mit einem spektakulären Auftrag landen deutsche Forscher und Soldaten im September 1943 in der Arktis. In der Basis »Schatzgräber« sammeln die Männer wichtige Wetterdaten für die Wehrmacht. Doch die Mission endet im Juli 1944 in einem Fiasko.

72 Jahre später stehen russische Wissenschaftler in den Ruinen der sagenumwobenen Station und wollen ihr die letzten Geheimnisse entreißen. »Über die deutsche Polar-Operation existieren viele Mythen, aber wenige Belege«, sagt Expeditionsleiter Jewgeni Jermolow.

Ein Bild der Verwahrlosung bietet sich heute an dem Ort, an dem einst die Wetterstation stand. Messgeräte mit Hakenkreuzen sowie Tarnnetze und Kanister, aber auch rostige Handgranaten und Springminen liegen im Geröll der Insel Alexandraland. Ein Video zeigt eine trostlose Landschaft wie in einem Film von Andrej Tarkowski (»Stalker«).

Etwa 500 Gegenstände seien eingesammelt worden, sagt Jermolow. Sie sollen im Museum des Nationalparks »Russische Arktis« ausgestellt werden, zu dem die westliche Insel des Franz-Josef-Lands gehört.

»Für seinen Krieg brauchte Hitler-Deutschland damals Daten aus der Arktis, die ja als Wetterküche gilt«, erzählt der Forscher. Die Messergebnisse sollten helfen, die Bewegung von Truppen, Kriegsgerät und Schiffen besser zu planen. »Da Moskau nichts an das verfeindete Berlin lieferte, bauten die Deutschen ihre eigenen Messstationen in der Arktis auf.« In der Südbucht rund 500 Meter vom Eismeer entfernt, schwer einsehbar und auf einer Anhöhe bei einem Frischwassersee: »Der Ort der Basis war von der Kriegsmarine gut gewählt«, sagte der Wissenschaftler Peter Bojarski der Zeitung »Moskowskij Komsomolez«.

Das Schiff »Kehdingen« bringt am 22. September 1943 insgesamt zehn Forscher und Soldaten von der norwegischen Stadt Tromsø nach Alexandraland. »Es war ein weitläufiges Areal mit Wohnbauten, Vorratslagern, Munitionsdepots und einem Flugplatz«, sagt Jermolow. Bis zum Juli 1944 geben die Meteorologen mehr als 700 Wettermeldungen durch, die sie unter anderem mit Sonden und Ballons erstellt hatten.

Die Bezeichnung »Schatzgräber« sei ein reiner Codename gewesen, meint der Expeditionsleiter. »Es ging um Geheimhaltung. Es gab keinen Schatz. Die Bombardierung russischer Häfen nannte die Wehrmacht zum Beispiel «Wunderland»«, erzählt Jermolow. Die Bedingungen auf der Insel, die nach Prinzessin Alexandra von Dänemark benannt ist, sind hart. Polarwinde, Stürme und Nebel beherrschen das Klima, wenige Flechten klammern sich an Steine, Eisbären sorgen für Lebensgefahr.

»Niemand lebt hier oben freiwillig«, sagt der Historiker Bojarski. Die nördlichste Inselgruppe der Welt gehört zu Russland, von ihrem nördlichsten Punkt sind es nur 1000 Kilometer bis zum Nordpol.

Die rauen Lebensbedingungen werden den Forschern schließlich zum Verhängnis. Den ganzen Winter über ernähren sie sich aus Konserven, zum Beispiel mit Sardinen aus Portugal. Um Abwechslung auf dem Speiseplan zu haben, töten die Männer im Mai 1944 einen Eisbären und verzehren sein Fleisch fast roh. Ein fataler Fehler. Fast das gesamte Team erkrankt an Trichinellose - einer Infektion, die Erbrechen sowie Durchfall und Fieberwahn verursacht.

Unter großen technischen Schwierigkeiten wird »Schatzgräber« am 11. Juli 1944 evakuiert und die Mannschaft in Norwegen gepflegt. Für die Sowjetunion ist die Basis nach dem Zweiten Weltkrieg zunächst weniger interessant. Erst 1990 gelingt es mit den Notizen des deutschen Forschers Rudolf Garbaty, die noch von der alten Mannschaft gelegten Minen rund um die Station zu entschärfen.

Seitdem kommen wieder öfter russische Experten in die Polarregion - aber nicht nur aus militärhistorischen Gründen. Moskaus Interesse an der Arktis ist nicht zuletzt wirtschaftlicher Natur. Es geht um gigantische Öl- und Gasvorräte und damit um Milliarden. Sowohl der Klimawandel, der das Eis schmelzen lässt, als auch modernere Techniken machen das Fördern bisher unzugänglicher Bodenschätze im Meer realistischer.

Aber auch strategisch rüstet Russland in der Arktis auf. Erst im vergangenen Jahr stellte die Atommacht eine Militärbasis fertig, in der 150 Soldaten eineinhalb Jahre lang autonom leben könnten. Ihre Position: Alexandraland. Nicht weit vom einstigen »Schatzgräber«. dpa/nd

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